Windspiele

Etwas internationaler als die Neustädter Bucht ist der Osten Rügens allemal. Wer hier den UKW-Funk einschaltet, kann bereits zwischen den Revier- und Wetterinformationen vom dänischen Lyngby Radio, dem Polnischen Witowo Radio, Radio Stockholm oder natürlich auch dem von DP07 betriebenen deutschen Arkona Radio wählen. Im Süden, als letzter Vorposten Deutschlands zeichnet sich Usedom ab, von Norden bis Südosten erstreckt sich die offene See. Irgendwo, eine Tagesreise entfernt und weit außer Sicht, liegt Bornholm. Mein nächstes Ziel für eine Nacht auf dem schnellen Törn nach Stockholm. Doch bis dahin bleibt nur zu warten. Eine Böenwarnung nach der anderen, Gewitter mit Windstärken bis neun Beaufort liegen über der südlichen Ostsee. Was habe ich erwartet? – Einen Bilderbuchsommer natürlich.
In Saßnitz endet die Reise an Mecklenburg Vorpommerns Küste. Ein letztes Mal in Deutschland einkaufen, einige offene Telefonate im heimischen Mobilnetz, Post verschicken und dann geht das Abenteuer Ostsee erst richtig los. Auch, wenn die Zeiten, in denen komplizierte Einreiseformalitäten den Segler gängelten, vorbei sind. Die nasse Grenze im Kalten Krieg ist schließlich längst zum „Meer des Friedens“ geworden. Für die 46 Fuß lange Genesis hinter mir sieht das anders aus. „Wir haben den Fehler gemacht und sind über Dänemark gesegelt,“ ärgert sich der holländische Skipper. Seit dem kam nun zum dritten Mal der Zoll an Bord um die Papiere zu überprüfen. Die Polen zwei Plätze dahinter kennen es gar nicht anders. Ich war auch im bösen Dänemark, aber an mir gehen die Beamten jedes Mal mit einem Grüßenden Kopfnicken vorbei. Willkommen im geeinten Europa – zumindest wenn man die richtige Flagge am Heck wehen hat. Ob das nicht auch die echten Schmuggler wissen?
Zwei Monate rechne ich für die baltischen Staaten und Finnlands Südküste. Mitte August erwarte ich wieder in dieser Gegend anzukommen, auf der Durchreise zum dänischen Limfjord. Mal sehen, wie es dann wird, wenn Lettland, Litauen, Estland und Polen in meinem Kielwasser liegen.
Apropos Rechnen: Beim Anlegen steht ein leichter Wind auf die Mole. Also drehe ich den Bug in den Wind, lege etwas Ruder und halte mich mit eingekuppelter Maschine parallel neben der Mauer, langsam an ein freies Stück Mole treibend. Heckleine um einen Poller, Ruder Richtung Spundwand, etwas Gas geben und das Boot hängt sicher in der Leine. Jetzt in Ruhe die Vorleine und die beiden Springleinen ausbringen. – Auflandiger Wind im Hafen ist ein praktischer Helfer, mit dem man rechnen kann.
Zwei Minuten später kommt das nächste Boot in den Hafen, fährt dicht an meiner Steuerbordseite entlang, wird immer langsamer. Im hinteren Drittel treibt die Yacht (Warum sind beim längsseits Anlegen eigentlich zwei der vier Fender auf der anderen Seite?) gegen meinen nagelneuen Bugkorb. Doch Paulinchen weiß ihre frisch gerichtete Nase durchaus wie eine Dame zu verteidigen: Ihr Ankergeschirr hinterlässt einen gut vier Meter langen tiefen Kratzer im Gelcoat der Bavaria. „Immer dieser scheiß Wind, wer rechnet denn mit so was“, flucht der Skipper.


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