Abschied aus Deutschland

Proviant für 60 Tage. Inventur ist vor der Abfahrt notwendig
Inventur in Cuxhaven

Grauer Himmel liegt über Cuxhaven, hin und wieder ein Streifen Sonne, der helle Flecken auf Schotts und Polster malt, am Horizont geht die Nordsee fast konturlos in den Himmel über. Der letzte Tag in Deutschland passt zur Stimmung – wechselhaftes Aprilwetter. Freude auf das Abenteuer, Wehmut, vieles zurückzulassen. Schon wieder. Der Aufenthalt in Hamburg war zu lang, aus einem Zwischenstopp ist ein Bleiben geworden und aus der schnellen Rückkehr auf die See ein erneuter Abschied. Der fällt schwerer als beim letzten Mal vor ziemlich genau einem Jahr. Damals stand fest: “Ende der Saison und Du siehst Freunde und Familie wieder”. Diesmal sind die letzten Einkäufe damit verbunden, Kleingeld loszuwerden. Euromünzen werde ich vorerst nur noch auf den Azoren brauchen, für einen kurzen Stopp.

"Paulinchen"... soll Hinnerk Weiler einmal um die Welt bringen
Unbemerkt bleiben die Vorbereitungen nicht: Die Cuxhavener Nachrichten berichten auf einer halben Seite

“Losfahren ist einfach, Bleiben ist schwer”, beschreibt Wilfried Erdmann seinen Abschied zur letzten Nonstop-Weltumsegelung. Aber sind mit schwarz und weiß alle Farben beschrieben? Bleiben ist sogar sehr schwer für die, die loslassen müssen. Für meine Familie, für Freunde, die teils mit Tränen beim Abschied in Hamburg standen, für Kinga, die ich erst in diesem Winter kennengelernt habe. – Ein Wiedersehen ist in 14 Wochen geplant. Sie alle müssen loslassen, damit ich einem Traum nachjagen kann, den sie zwar meist verstehen, aber nicht teilen. Dafür behalten sie ihre gewohnte Umgebung und bestimmen ihr Leben auf andere Weise, nichts verändert sich, nur dass einer weniger da ist. Das Losfahren bedeutet aktives Loslassen. Erdmann hat recht, das fällt sicher leichter. Man entscheidet, man kontrolliert es. Und man weiß, dass man auch jederzeit umkehren kann. Alles was man braucht, ist Vertrauen auf eine ungewisse Zukunft . – Selbstvertrauen. Schon nachdem ich ein Jahr unterwegs war, hatte sich vieles geändert. Freundschaften hatten sich gelöst, neue gefunden. In meinem engsten Freundeskreis wurden Kinder geboren, die ich erst mit drei oder vier Monaten zum ersten Mal, mit acht Monaten zum letzten Mal gesehen habe. – Sie werden Schulkinder sein, wenn ich zurück komme. So viel ich unterwegs auch erleben werde, soviel werde ich auch verpassen.

Sturmfock und drittes Reff - nur noch kleine reste der sonst üppigen Taklage sind übrig
Trockenübung – drittes Reff und Sturmfock werde ich hoffentlich nicht so häufig brauchen

Die To Do Liste ist auf Tanken und Wasser bunkern geschrumpft. Unter der Saling weht wieder der Blaue Peter. Ich bin müde von den Arbeiten der letzten Tage, schlafe schlecht und kurz. In meinem Kopf sind Bilder einer rauen Nordsee, die mich mit kalten Nächten und wenig wärmeren Tagen erwartet. Dahinter schimmern schemenhafte Bilder von sonnigen Stränden und stahlblauem Himmel. “Die Zeit ist knapp geworden”, habe ich oft ins Logbuch geschrieben – wie kann Zeit knapp werden, wenn noch so viel vor einem liegt? Viel zu spät komme ich los in Richtung Azoren. Gutes und Schlechtes daran hält sich die Wage. Gut ist, dass mit jedem Tag, der vergeht, auch das Wetter im Englischen Kanal und auf dem Atlantik besser werden müsste. Jimmy Cornell schreibt in “Segelrouten der Welt” für die Strecke Azoren – Ostküste USA, dass man es eigentlich nicht machen würde, aber wenn, dann ist die “Beste Zeit: Mai-Juni”. Da komme ich nun immerhin rein. Schlecht ist, das sich andererseits mit fortschreitendem Sommer auf der Nordhalbkugel auch die Gefahr von tropischen Wirbelstürmen erhöht, die immer öfter weit an der US-Küste hinaufziehen. Ich werde also auf der Hut sein müssen.

Alternativen gibt es natürlich immer: Statt entlang der Südseite des Golfstroms zu bleiben, einmal mitten durchfahren und dann nördlich bleiben. Die Strecke ist auf dem Großkreis sogar kürzer, aber auch kälter, nebeliger, die Seekarte verzeichnet Eisberge und sie ist eine ganze Ecke windiger. Dafür bestünde hier aber auch eine Chance, das eine oder andere Tief im nördlichen Sektor zu erwischen. Weniger Frontdurchgänge, dafür aber das eine oder andere Mal südliche oder sogar östliche Winde abzubekommen. Seemännisch vielleicht sogar die bessere Wahl.

Wie auch immer, schon letztes Jahr habe ich gelernt: Mach Dir viele Sorgen, dann ärgerst Du dich hinterher umso mehr über Deine Ängste, weil alles halb so schlimm war. Das Wichtigste: Probleme lösen, wenn sie dran sind. Vorbereitung ist wichtig, Alternativen im Hinterkopf können lebensrettend sein. Doch sich auf alles vorbereiten zu wollen, den perfekten Augenblick abpassen zu wollen und auf das perfekte Wetter zu warten verzögert das Vorhaben bis ins Unendliche.

Welchen Kurs ich über den Atlantik wähle, wird sich zeigen, wenn ich auf den Azoren bin. – Bis dahin, und auch von da ab wird die Entscheidung täglich neu fallen.


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