Ramsgate

Abschleppen - Das RNLI Rettungsboot schleppt mich nach Ramsgate
Vor dem Hafen von Ramsgate im Morgenrauen – Die Ankunft in England hatte ich mir anders vorgestellt

Kurz nach Sonnenaufgang erreichen wir den Hafen Ramsgate. Die Klippen der Kreidefelsen leuchten, darüber strahlende bunte Häuser. Irgendwie majestätisch. Es würde nicht wundern, wenn hinter den historischen Wellenbrechern die Schiffe der englischen Krone die letzten Vorbereitungen zum Auslaufen gegen Frankreich treffen würden. Im Geiste gehe ich das Bücherregal an Bord durch und ärgere mich, keinen Hornblower oder ähnlich passende Lektüre dabei.

Aber Lesen steht ohnehin ganz hinten an. Stattdessen: Schlafen, Duschen, Schlafen, Aufklaren. Mit Pantaenius hatte ich bereits von See aus Kontakt aufgenommen. Die Kasko würde wohl einspringen. Aber über Geld spricht man in England wohl nicht. Meine Fragen diesbezüglich bleiben unbeantwortet. Nicht einmal eine Unterschrift oder Personalien will man haben. An Bord des Rettungsbootes nur müde Augen, ein kurzes “Have a nice day and good luck”, dann brausen sie davon. Im Reeds lese ich später, dass die Royal National Lifeboat Instistution (RNLI) eine wohltätige Organisation mit über 230 Rettungsbooten den Küstenbereich ist, die Crews aus Ehrenamtlichen bestehen und “the RNLI promotes safety at sea by providing a free comprehensive safety service to members and the general public.” Beim Festmachen stehen zwei Beamte der Küstenwache am Steg, nehmen die Leinen an und geben mir einen kurzen Überblick über den Hafen. Die Küstenfunkstelle mit der ich in Kontakt war hatte sie geschickt, um mir behilflich zu sein. Kran, Duschen, Code für die Tore zu den Stegen, und die Lage des Hafenbüros “whatever help you need, just come over to us.” Meine Hauptsorge ist weiterhin die Frage nach der Rechnung. Das Rettungsboot arbeitet “for free on rescue missions”. Aber so recht in Not war ich ja nun auch nicht. – Schultern zucken. Sollte es wirklich keine Rechnung geben, ist sicher eine Spende das Minimum – Ehrensache, auch wenn die wohl nicht von der Versicherung übernommen wird.

Der innere Hafen (inner harbour) von Ramsgate wird durch eine Barre gegen die Tide abgeschottet. Ist dafür aber nur 2 Stunden vor und nach Hochwasser zu erreichen
Ramsgate Inner Harbour – fast einwenig mediterran ist auch das Wetter

Zwanzig Minuten nach dem Einlaufen falle ich in einen komatösen Schlaf bis in den späten Nachmittag, gehe duschen, räume etwas auf und schaue mir die Stadt an. Irgendwie hat sie ihren Charme, wirkt einerseits etwas heruntergekommen, andererseits sehr lebendig. Es ist gerade samstägliche Umbuchstimmung. Die Geschäfte schließen, die Pubs und Clubs füllen sich. Am Hafen reihen sich Cafés entlang der inneren Marina. Meines heißt Miles und hat eine beheizte Veranda. Dem Problem Fischernetz verweigere ich mich für heute ganz bewusst, schaue auf den Hafen, auf die Stadt und genieße die Tatsache hier zu sein. Die Umstände sind zweitrangig und zu entdecken gibt es an jedem Ort etwas. Morgen nach dem Frühstück wird getaucht.

Kaltes Wasser

Um acht Uhr hält mich nichts mehr in der Koje, es ist bewölkt, der Wind hat ordentlich zugelegt und Paulinchen zerrt an den Festmachern als wollte sie sagen “Los jetzt”. Ich klariere die Tauchausrüstung – Tatsächlich habe ich an alles gedacht, außer an Blei. Naja, wird schon gehen. Lache über mich selbst, als ich den Neopen anziehe – 14mm, Kopfhaube, Handschuhe… hatte eigentlich überlegt, die dicken Sachen zuhause zu lassen: “In der Karibik brauchst Du das ja eh nicht”. Aber eine Tauchausrüstung an Bord ist eben auch ein Sicherheitssystem und jetzt bin ich froh, eine gute Ausrüstung dabei zu haben. – nächstes Mal aber dann doch lieber einen Trockenanzug!

Taucherflagge A - Bei Arbeiten unter Wasser die einzige Chance andee auf den Taucher hinzuweisen
Taucher unter Wasser – Ob das "A" jemandem im Hafen auffällt ist ungewiss, aber es höht zumindest die Chance, dass mich keiner über den Haufen fährt, wenn ich wieder auftauche

Kälte dringt mit dem Wasser an den Reißverschlüssen und der Manschette der Haube ein – Eiseskälte. Ich beginne schneller zu atmen, ein wenig zu japsen. Mein erster Tauchgang seit über einem Jahr und dann gleich unter diesen Bedingungen. Kein Vergnügen. – Doch, irgendwie schon. Obwohl ich ewig brauche, bis ich mich wieder daran gewöhnt habe.

Zum Glück habe ich das Tauchen in einem Tümpel bei Hamburg gelernt. Wäre ich wie viele Urlaubstaucher nur klares Karibikwasser gewohnt, wäre ich vermutlich gleich in Panik wieder raus. Unter Wasser verliert sich der Hafen im Grün, bereits 15 Zentimeter vor der Maske verschwinden die Handschuhe im Nichts. Mehr tastend als sehend arbeite ich mich unters Boot. Der Vorteil der schlechten Sichtverhältnisse: Ich kann das ganze Ausmaß nicht abschätzen, beginne einfach vom Wellenbock aus zu schneiden. Schicht für Schicht. Die Kälte verschwindet, ich konzentriere mich auf gleichmäßiges Atmen. Nicht zuletzt, weil die aufsteigenden Luftblasen mir zusätzlich die Sicht nehmen.

Fischernetz und Tauchausrüstung am Steg
Ein ordentlicher Batzen Fischernetz – ohne Tauchausrüstung wäre das Freischneiden eine Arbeit von Tagen gewesen

Jeder Lage Netz, die durchtrennt ist, folgen dreißig Sekunden Pause, damit sich aufgewirbelter Dreck etwas legen kann. Zum Glück setzt im Hafen eine leichte Strömung. Das Netz ist irgendwann zur Hälfte entfernt, das Atmen fällt schwerer – noch 30 Bar in der Flasche – das wird nicht mehr reichen. Auftauchen, umziehen.

Wie ein Handelsvertreter schlendere ich durch den Hafen, frage hier und dort Leute, bis sich jemand findet, der ebenfalls taucht. Einen Kompressor hat er nicht, aber eine Flasche würde er mir selbstverständlich leihen. Ich frage, ob er etwas dafür bekommt. Ein Lachen: “Als Du von dem Netz erzähltest, dachte ich Du willst, dass ich es herausschneide. Das wären dann 100 Pfund die Stunde. Da du Dir selbst zu helfen weißt, helfe ich gern. Stell die Flasche einfach vor den Steuerstand, falls ich nachher nicht mehr da bin.”

Eine Stunde später liegt neben Paulinchen ein riesiges Knäuel Fischernetz an Land und ich stehe mit heißem Tee und für die Temperatur viel zu dick angezogen daneben. Widmen wir uns wieder den angenehmen Seiten des Fahrtensegelns: Bratkartoffeln, Speck und Spiegeleier – Baden macht hungrig.


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