Seetage

Sonntag, Regentag. Flauten wechseln sich mit Winden aus allen Richtungen ab und wiegen uns unter Deck in leichter Dünung. Der Parasailor zieht mal nach Westen, mal nach Norden und dann wieder nach Süden. Keine Lust, alle fünf Minuten Schoten, Achterholer und Windfahne neu einzustellen. Alle zwanzig Minuten schaut einer von uns aus dem Luk, sucht den Horizont ab. Aber es gibt keine Schiffe, keine Sonne und keine Zeit. Der Vormittag unterscheidet sich im Aussehen nicht vom Abend und am Ende der ersten Woche auf See sieht der Ozean in jeder Richtung gleich aus.

Der Nordatlantik, der in meiner Phantasie mit wilder und stürmischer See bezwungen werden musste, stellt sich als kleiner Stiller Ozean dar. Aber abwarten, noch sind wir nicht drüber. Zwei Tage Gegenwind mit fünf bis sechs Beaufort, mal eine Bö mit sieben. Sonst Nordwind oder Südwind mit verhaltenen zwei bis vier Windstärken und moderater See. Nach einem Frontdurchgang rollt alte Dünung heran, hebt uns fünf Meter hoch. Wir bemerken es nur an der plötzlichen Fernsicht, so lang sind diese Wellen. Frischt es auf, bekommt der Ozean tiefe Löcher und Paulinchen bohrt ihren Bug tief in die anrollenden Seen, schaufelt Berge von Wasser an Deck, die sich im Sturzbach hinter der Sprayhood ins Cockpit ergießen. Sie sind größer als ich sie von der Ostsee kenne, füllen die Wanne im Cockpit bis zur Hälfte. Und verschwinden gurgelnd durch die Lenzrohre. Auch die Löcher im Wasser sind tiefer und die Kanten im Ozean scheinen eckiger als des Kategatt. Paulinchen schüttelt sich und es kommt vor, dass sie krachend in ein Wellental hinter einer Kreuzsee stürzt. Mein Vertrauen steigt mit jedem Starkwind 1.000 Meilen vom nächsten Land entfernt.

Der Wechsel vollzieht sich meist innerhalb von nur Stunden. Lichte Flecken in der Bewölkung, dann flaut es ab. Nach durchwachter Nacht bei fünf Windstärken geht Torsten schlafen und kommt in der Flaute zum Mittag wieder an Deck: „Sind wir falsch abgebogen? Hier hat doch eben noch alles gekocht.“ Wir genießen den Atlantik in seiner Stille und beschränken uns aufs Wache gehen. Das bedeutet Kurs halten, also einmal täglich Windfahne und Schoten einstellen. Und regelmäßig auf Verkehr achten, das ist ermüdend, denn im Schnitt treffen wir alle zwei Tage einen Frachter am Horizont.

New York liegt bei West-Nord-West, unser Kurs zwischen 240 und 270 Grad. Ich habe mich für den weiteren Weg, südlich unter den Fronten entschieden und bisher gab mir das Wetter recht: Wo wir mit 20 bis 25 Knoten Gegenwind zu tun hatten, waren es schon fünf Grad weiter nördlich 35 bis 40. Das „Tagesziel“ lautet demnach entweder: Mehr Süd oder mehr West machen. Je nachdem, was die täglich empfangenen Wetterfaxe für neue Fronten offenbaren. Bis hinter 55 Grad West halten wir uns jedenfalls noch südlich, rund 1.300 Meilen sind das ab jetzt. Ab dann nehmen wir Kurs auf die Freiheitsstatue, ein sechshundert Meilen Zieleinlauf nach einem Umweg von einigen hundert Meilen. Der zollt den Tiefs und vor allem dem Golfstrom Tribut und macht uns letztlich hoffentlich schneller als die direkte Route über den Großkreis von den Azoren aus. Seesegeln eben. Ich muss schmunzeln: Zurzeit ist Kieler Woche. Ob wohl die deutsche Meisterschaft im Seesegeln wieder auf einem Dreieckskurs vor der Kieler Förde entschieden wird?

Apropos Sport. Torsten, fragt nach, wie es wohl um die WM steht. Zeit, ihm zu verraten, dass das Kurzwellengerät an Bord neben E-Mails und Wetterfaxen auch die Deutsche Welle empfängt…


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