Götzenhaft ragt in amerikanischen Großstädten in die Höhe, was man hier lobend Skyline nennt. Auch in Miami liegen die Straßen der Stadtzentren im Schatten der Hochhäuser und kratzen sich Wolken an deren Penthouses. Wie Gebetsteppiche darum ausgebreitet ein Meer kleiner einstöckiger Häuser mit breiten Straßen und winzigen Gärten. So etwa sieht Miami aus der Luft aus, wenn man sich vom Festland aus der Stadt zuwendet. Von Osten kommend sind die Gebetsteppiche allerdings deutlich kleiner, und liegen am weißen Strand von Miami Beach. Unter Sonne und blauem Himmel.
Der Kontrast nach vier Wochen Hamburg ist einmalig. Rollte der Flieger durch zehn Zentimeter Neuschnee zur Startbahn, so landete er zwischen Palmen. Zu Hause oder auf Reisen? Beides! Die Wahrnehmung von Urlaub und Heimat ist nach dem Abstecher nach Deutschland nicht mehr zu unterscheiden. Wo sind die Wurzeln geblieben? An Bord oder in der Hansestadt, die gerade zwischen hanseatischem Trotz und Stolz das geringere Übel als neuen Senat wählte? Der Monat in Deutschland, verging jedenfalls dem Gefühl nach in Minuten. Die Liste unerledigter Dinge wird mich auf dem nächsten Flug in Teilen wohl wieder begleiten.
Im Sunshine State Florida ist alles anders. Mit 23 Grad empfängt mich der späte Nachmittag und ein Taxifahrer, dessen Englisch kaum durchs Spanische zu verstehen ist, wecken die Reiselust auf. „Falscher Flieger?“, geht mir durch den Kopf. Aber Sprachprobleme sind hier keine Seltenheit, wie sich in den nächsten Tagen zeigt. Egal, ob im Supermarkt, Hotel oder einfach nur auf der Straße. Miami liegt mehr in Zentralamerika als im Norden des Kontinents. Eine Feststellung, die der eher konservative Nachrichtensender CNN am Abend fast als Drohung darlegt: Eine dramatische Wende in der politischen Landschaft des Südens sieht der Nachrichtensprecher aufkeimen. Mit ernster Mine verkündet er, dass die zwanzig Prozent spanischsprachigen Einwohner in Texas zwei Drittel der Geburtenrate stellen.- Englisch wird in den USA demnach früher oder später zur Minderheitensprache. So what? Ich kann damit leben.
Eine noch größere Gruppe in Florida sind dieser Tage die Aussteller und Besucher der Miami Boat Show. Die stellen zwar keine signifikante oder gar bedrohliche Geburtenrate, dafür generieren ihre Kreditkarten einen nicht unerheblichen Umsatz. Statt „Excuse me Sir“ heißt es dieser Tage daher „Well done Skipper“, wenn mal wieder eines der Vorführboote so gerade eben in die Box zurückfindet.
Verglichen mit der, nach eigenen Aussagen, „Größten Wassersportmesse der Welt“ ist die, nach ebenfalls eigenen Aussagen, „Greatest boat show in the world“ ernüchternd. Der erste Eindruck des Deutschen auf der Durchreise ist peinlich klischeehaft: Die Messe wirkt improvisiert, unorganisiert und klein.
Durch die Ausrüstungshallen, genau genommen sind es überwiegend Zelte, schlendert man in einer Stunde und fühlt sich eher wie auf einem maritimen Flohmarkt. Klimatisiert und unter festem Dach stehen nur zwei Hallen des Miami Convention Centers zur Verfügung. In ihnen finden sich vor allem Motorenhersteller, Versicherungen und ein Heer von Angelbootbauern. Wer sich den Kühlen Platz nicht leisten kann, muss in eines der Zelte im Freigelände ausweichen und seine Geschäfte im Schatten bei 40°C machen.
Aber neues gibt es eh vor allem im Sektor „Dinge, die nur der Fachhändler braucht“. Akkubetriebene Winschkurbeln im Format einer Hiltie-Schlagbormaschine beispielsweise, versprechen: Dichtholen nach der Wende in gefühlten elf Minuten …
Platz zwei meiner persönlichen „Muss das wirklich sein“-Liste belegt der fast schon langweilig gewordene iHype. Natürlich gibt es den Messekatalog als App. Niemand erwartet etwas anderes und wer es übersehen hat, wird an jeder Ecke darauf hingewiesen.
Nach der Ausstellung kommen iPhone und iPad aber auch nicht zur Ruhe: Sie sind der Navigationscomputer oder bessergesagt „Media-Central and Chartplotter“ (man beachte die Reihenfolge) der Zukunft. Das Wundergerät soll alle Funktionen des Bootes zusammenfassen. Nur setzt nahezu jeder Langfahrtsegler, den ich unterwegs getroffen auf möglichst unabhängige Systeme. In den Bahamas sogar häufig auf verschiedene Kartenplotter mit Kartenmaterial unterschiedlicher Hersteller. Denn die Ungenauigkeiten des Einen gleichen oft die Karten es Anderen aus.
Die Industrie scheint hingegen bemüht, einen „Single Point of iFailure“ an Bord zum Standard zu erheben. Natürlich nicht ohne Hinweis: Die Software ist nicht Fehlerfei. Neben dem elektronischen Plotter muss immer die Papierkarte liegen.
Damit der Taschen-Apple aber zum hippen Mediaplayer mit Chartplotterfunktion und Telefonanschluss wird, braucht er mehr als nur die Position des eingebauten GPS-Empfängers. Diese Daten liefern WLAN-Schnitstellen, die an jeder Ecke auf der Messe zu haben sind. Sie stellen NMEA-Daten per TCPIP über ein kabelloses Netz zur Verfügung und neben den Telefonen können auch andere Computer diese Daten empfangen. Offen bleibt eine andere dringende Frage: Wer zahlt das Freischleppen, wenn man eine Sandbank übersieht, weil man gerade seine Seekarte am Ohr hatte?
Den Messerundgang am Convention Center in Miami Beach zu beginnen, war allerdings ein Fehler. Zwei oder drei Stunden nach Öffnung der Messe ist es Mittag und damit die schlechteste Zeit, die Hallen und das Brummen der Aircondition zu verlassen. Knapp einem Hitzschlag entgangen geht es in einen der Bus-Shuttles zu den Messehäfen. Hier steht die sonst im Umfang deutlich überlegene Düsseldorfer boot klar hinten an: Drei Messehäfen voller Boote würden allerdings im Januar am Rhein niemanden anlocken. Zur Auswahl steht jeweils ein Bus zu eher sehr kleinen Megayachten, mittelgroßen Motorbooten oder großen Segelyachten.
Angelboote mit 4 mal 250 PS am Keck und einem winzigen Elektromotor am Bug interessieren mich allerdings nicht. Obwohl „Size matters“, bleiben auch die Megayachten außen vor. Zu Ihnen geht es am Abend, denn deren Hafen liegt mitten in Miami Beach gegenüber meines Hotels und der Besuch lohnt eh erst nach Sonnenuntergang, wenn hier die wirklich interessanten Messepartys steigen. Die Segelboote klingen allerdings verlockend.
Mit dem Namen „Strictly Sail“ versucht sich der Segelboothafen der Miami Boat Show ein bisschen vom Motorbootimage der restlichen Veranstaltung abzuheben. Und das gelingt auch. Vergessen sind all die Flitzer und Boliden. Hier liegen sie, die Klassiker, die jede Segelbootmesse mit ihren Flaggen dominieren: Jeanneau, Benneteau, Bav… ups, weder Hanse noch Bavaria scheinen sich über den Atlantik getraut zu haben. Dafür aber jede Menge Katamarane aus dem Partnerland der Messe Südafrika. Die anderen Monohulls könnten zwischen den vielen Wohnungen auf See fast ein bisschen übersehen werden. Denn Hunter, Island Packet oder Catalina zeigen, was ich schon drei Mal in diesem Artikel klargestellt habe: „Size matters“ 40 Fuß scheint das Einstiegsboot zu sein. Und tatsächlich, kurz vor Messeschluss erfahre ich von einem der Broker, dass die Messe sich schon gelohnt hat: Am ersten Tag, 52 Füße verkauft – Respekt. Der zukünftige Skipper ist demnach noch nie gesegelt, aber seine Freundin fand das Boot todschick … Ob man die Geschichte glauben soll? Vermutlich nicht. Aber sie zeigt das Bild, dass die Yachties hier unten gern von sich zeichnen. Und es passt zu den Amis, die gern Größe demonstrieren. Die übrigen Trends sind beiderseits des Atlantik übrigens ähnlich: Sagte ich schon – „Size matters“?
Und wer sich hier für 45 Fuß und mehr interessiert, der denkt sowieso nicht an den Kaufpreis, Der ist im Vergleich zu den Liegeplatzkosten unbedeutend. Das Liegen an Moorings macht die Boote in einem Punkt allerdings wirklich interessant: Viel Batteriepower, große Tanks und Platz für einen Dieselgenerator sind immer vorhanden, damit der Klimaanlage (und dem iPad) nicht der Saft ausgeht.