Northbound II

Von Nassau nach Annapolis in den ersten Frühlingswochen. Ein Segeltrip aus der Karibik in den in den späten Continental Winter in zwei Teilen. Teil II, von Charleston, South Carolina in die Chesapeak Bay

Die Heimkehrcrew Bert und Marlene nehmen Kurs auf Bermuda
Die Crew der Heimkehr, nimmt nach acht Monaten in den USA Kurs auf Bermuda

Eine Woche gemütlicher Wechsel zwischen Dauerklönen an Bord der Heimkehr und dem Abarbeiten der unendlichen Reparaturliste ging viel zu schnell vorüber. Teil des Lebens des Fahrtenseglers ist, sich dem Wetter unterzuordnen. Fronten und Tiefs war es zu verdanken, dass der „beinahe Fischkutter“ überhaupt noch in den USA auf mich wartete. Ein passendes Wetterfenster bedeutet daher einen umso schnelleren Abschied: ein letztes gemeinsames Frühstück, das Abschließen der zusammen begonnenen Arbeiten und dann noch ein Abendessen mit anderen Freunden aus dem Hafen. Im folgenden Sonnenaufgang zieht die Heimkehr durch das Fahrwasser Richtung Atlantik. Ihrem Namen macht sie ab jetzt alle Ehre: Mit dem Törn von Charleston nach Bermuda beginnt für Bert und Marlene der Weg nach Hause, Kurs Europa.

Paulinchen im Golfstrom auf See
Paulinchen im Golfstrom auf See

Mit rund einhundert PS und einer Maschine weniger warte ich noch die passende Tide ab, dann geht es einige Stunden später ebenfalls los.
Im leichten achterlichen Wind waren Shorts und T-Shirt angemessene Bordbekleidung für die ersten anderthalb Tage auf dem Weg zum Golfstrom. „Seglerautobahn“ nenne ich den nur etwa zwanzig bis dreißig Meilen breiten Korridor. Warmes Wasser aus dem Süden fließt hier mit bis zu vier Knoten vor der Küste der USA nach Nordosten. Interessanterweise meiden die meisten Amerikaner diese Chance auf schnelles Segeln, bleiben lieber dicht unter Land oder motoren im Intracoastal Waterway. Atlantik-, bzw. Offshoresegeln ist hier mit wilden Geschichten von der Unberechenbarkeit des Ozeans garniert. Ich wurde gewarnt und ermutigt. Ich kenne raues Wetter. Entschieden habe ich mich daher für die schnelle und abenteuerlichere Route außen herum.

Bis über neun Knoten im Golfstrom zeigt das GPS auf der Reise an
Bis über neun Knoten im Golfstrom zeigt das GPS auf der Reise an

Ist der Wind günstig, erreichen hier draußen selbst kleine Boote wie meines problemlos Etmale über 200 Meilen am Tag. Über neun Knoten Fahrt zeigt mir das GPS immer wieder an. Weht der Wind allerdings aus der falschen Richtung, wird dieser Expressweg fünfzig Meilen abseits der Küste tatsächlich zum Höllenritt.

Ein Gewitter, das Bert später etwa 70 Meilen weiter südöstlich auf seinem Radar mit rund 40 Meilen Durchmesser bestimmt, markiert das Ende dieses schnellen Segelns: Der Wind dreht von West auf Nordost, das Thermometer fällt von 25 auf 10 Grad. Der Frühe Sommer ist vorbei, der späte Winter kehrt zurück. Er bläst mit sechs Beaufort gegen den Strom. „Schlimmer als Elbmündung kann es nicht werden“, notiere ich. Aber die Elbmündung kann schlimm sein: Zwei Meter hohe steile Wasserwände türmen sich auf, werfen Paulinchen von einer Seite auf die andere. Immer wieder ergießen sich die Seen direkt über das Schiff und ins Cockpit. Die ersten Wellen treffen mich unvorbereitet. Während ich noch damit beschäftigt bin unter Deck umherfliegende Töpfe einzufangen findet viel Wasser Weg durch den nur halb verschlossenen Niedergang ins Schiff. Die Prioritäten müssen neu geordnet werden: Reffen, Pumpen, aufklaren. – Das Rigg zittert, der Rumpf fällt immer wieder in regelrechte Löcher zwischen den Wellen. Der Bug schlägt auf das Wasser als würde das Schiff auf etwas Festes auflaufen. Im zweiten Reff, entscheide ich mich nach einigen Stunden für materialschonendes Ablaufen in Richtung Küste. – Raus aus dem Strom.

Winterbekleidung beim Segeln anfang April
Aprillwetter im Golfstrom

Der imposante Wetterumschwung markiert den Beginn einer Schlechtwetterphase für den weiteren Törn. Der Himmel bleibt Grau verhangen, ein Gewitter folgt dem Nächsten, unterbrochen von eiskaltem Nebel, kurzen Flauten, schweren Schauern. Ein Lehrstück, das jedem Schwerwettertraining auf Nord- und Ostsee bestens zu Gesicht stünde. Am Ende habe ich verstanden, was die Kanadier in den Bahamas meinten: „It’s a little early for heading north …“

Pfannenbrot sorgt für bessere Laune in Pausen zwischen den Schauern
Pfannenbrot sorgt für bessere Laune in Pausen zwischen den Schauern

Aus der Badehose nach dem Auslaufen ist Schicht um Schicht Kleidung für Wintersegeln geworden. Unter dem Ölzeug trage ich in wechselnden Schichten Fließunterzeug, Wollpullover, Kapuzenpulli und noch immer ist mir kalt. Die Umstellung vom warmen Bahamassegeln dauert, dazukommt, dass in diesen Bedingungen nichts trocknet. Wollmütze, Handschuhe und Schal, alte Bekannte, die ich seit dem Trip von England zu den Azoren in dieser Menge nicht mehr gebraucht hatte. Nur diesmal geht es anders herum. Das zerrt an den Nerven. Kurs Nord wird es nicht mit jeder Meile wärmer, sondern kälter.

Wasser schwappt immer wieder aus der Bilge über die Bodenbretter
Immer wieder schwappt Wasser aus der Bilge über die Bodenbretter

An Deck verbringe ich nur noch die nötigste Zeit, sitze bestenfalls im windgeschützten Niedergang oder liege auf den mehr als nur feuchten Kojen unter Deck. Das triefende Ölzeug hängt direkt vor der Treppe, Salzwasser tropft auf den Boden und verschwindet in einem kleinen Rinnsal in der Bilge. Gesellt sich zu dem Wasser, dass bei jeder überlaufenden See durch die undicht gewordenen Püttinge ins Boot gelangt. Ein, zwei Mal pro Tag muss ich pumpen, wenn das Wasser an den Seiten über die Bodenbretter schwappt.

In der geschützten Bucht fällt der Seegang weg. Eine Nacht Pause, ich schlafe wie ein Stein. Überhöre die Eieruhr und werde erst vom tiefen Horn eines Saugbaggers wach, dem ich zu nahe komme. Fünf tiefe Töne, so laut, dass ich schon beim Zweiten splitternackt im Cockpit stehe. Das darf nicht passieren, nicht in einem Revier wie diesem. Ich beschließe, am nächsten Tag irgendwo zu ankern.

Zum Abend klart es kurz auf, aber bei Wind um 30 Knoten bleibt das Dritte Reff eingebunden
Zum Abend klart es kurz auf, aber bei Wind um 30 Knoten bleibt das Dritte Reff eingebunden

Doch bevor der Flunken fällt, frischt es wieder auf. Minuten später wird es dunkel, wieder ein Gewitter. Die Wettervorhersage im NOAA Radio, spricht von „Gusts up to 60 miles per hour“ und gibt den Hinweis, dass Skipper unverzüglich Schutz suchen sollen. Eine Aufzählung, was alles in einer Böe mit kleinen Booten passieren kann, rundet das Szenario ab. Die Vorhersagen sind präzise, geben die Position der Gewitterzelle an und ihre Zugbahn mit Uhrzeiten. Die Beschreibung ist so bildlich, dass ich den Sender „Panik Radio“ taufe. Dennoch, in einem aufziehenden Gewitter in Landnähe zu fahren ist kein guter Rat. Die Zugbahn nach Nordosten kreuzt meinen Kurs. Also drehe ich lieber nur um, segle nach Südosten und lasse das Ungetüm hinter mir passieren. Nach dem Gewitter der übliche Winddreher auf Nordost, alter Kurs, zwei Stunden verloren. Im Panik Radio die Vorhersage für Point Lookout. Die Abzweigung des Potomac River nach Washington DC ist in Sichtweite. Für den restlichen Tag werden 20-25 Knoten Nordost angesagt, dann folgen die Stationsdaten: „Point Lookout 30 knots, gusts 40, some gusts up to 47. Im dritten Reff jage ich mit etwas weniger als halbem Wind die restliche Bucht hinauf nach Norden in die nächste Nacht. Den Plan zu ankern habe ich aufgegeben.

Der Morgen danach: Aufklaren nach der Ankunft in Annapolis. Ölzeug, Rettungsweste und alles Nasse kommt zum trocknen an Deck
Der Morgen danach: Aufklaren nach der Ankunft in Annapolis. Ölzeug, Rettungsweste und alles Nasse kommt zum trocknen an Deck

Nach insgesamt sechs Tagen greife ich morgens um 4:30 Uhr in Annapolis die Leine einer Mooringboje. „$30 Daily Fee“, steht darauf. Ich würde auch das doppelte ohne mit der Wimper zu zucken akzeptieren. Der letzte Regenschauer zieht über das Boot, während ich die Dreifarbenlaterne aus- und das Ankerlicht einschalte. Unter Deck sind acht Grad, die Polster scheinen noch kälter und nasser als die letzten Tage. Ich werde sie in dieser Nacht „trockenschlafen“.


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