Port Dalhousie, Lake Ontario, Kanada – Der Kran ist am Ende der Boxengasse noch in Sichtweite. Im Cockpit liegen drei leere Plastikbecher und Coladosen. trotzleichter Brise treibt die Sonne mich um acht Uhr aus der Koje. Es dauert ein bisschen, dann nimmt das Bild vom vergangenen Abend langsam wieder Form an. Da war Tommy, der wohnt auf dem Boot nebenan. Sein Kumpel Wayne war es, der auf einmal die Flasche Rum hervorzauberte und den Beutel Eiswürfel denebenlegte: „Ich habe 15 Jahre Briefe ausgetragen, da erlebt man schon eine Menge“, lacht er, spuckt ins Wasser, zieht an seinem Zigarillo. „Und ich bin auf jedem verdammten Fluss und See in Kanada mit meinem Kajak gewesen. Aber noch nie habe ich mit jemandem angestoßen, der auf so einer Nussschale über den Atlantik gesegelt ist.“ Und schließlich gab es auch etwas zu feiern: Paulinchen schwimmt wieder, das Rigg ist getrimmt, der Weitereise steht nicht mehr viel im Wege – wenn da nicht diese Kopfschmerzen wären.
Die Zeit an Land hat allerdings bei weitem nicht gereicht, um alles abzuarbeiten. Das ist aber auch nicht nötig. Denn eines steht nach dem das Unterwasserschiff neu mit Antifouling gemalt ist fest: Der nächste Werftstopp braucht eine richtige Werft, mehr Vorbereitung ein etwas dickeres Polster für Materialeinkäufe und mehr Zeit. Denn der Rumpf muss einen komplett neuen Farbaufbau bekommen. Ich rede mir ein, dass ich das lieber erst angehe, wenn ich in der Gegend von Brasilien angekommen bin. Denn hier oben sitzt mir jetzt schon wieder der Winter im Nacken und Chicago sollte ich möglichst noch im September erreichen.
Dass ich dahin nun, statt durch den Trent-Severn, den weiteren Weg durch den Welland Kanal und über den Lake Erie nehme, hat mehrere Gründe: Allem voran kann ich dort meine Etappen selbst gestalten. Bei passenden Wetterbedingungen sind lange Schläge und auch die eine oder andere Nachtfahrt möglich. Das geht im engen und Schleusenreichen Trent-Severn nicht. Paulinchens Tiefgang ist ein weiteres Problem. Der liegt bereits in einem Bereich, in dem ich vor der Einfahrt in den Trent Severn ein Formular unterschreiben müsste, indem sich der Kanalbetreiber von allen Schadenansprüchen bei Grundberührung frei hält. Letztlich spielt auch das Geld eine Rolle: Für die rund 400 Dollar teure Passage wären zehn Tage im Kanal ein zu großer Kompromiss, zu dem noch Diesel für etwa 900 Seemeilen von hier bis Chicago kämen. Unter Strich ist der Umweg also, ganz typisch für Segler, der schnellere und bessere Weg.
Dem steht nur noch der Welland Kanal im Weg. Auch wenn ich Schleusen inzwischen recht gelassen gegenüberstehe, verkrampft sich mir angesichts dieser Kanalpassage doch noch etwas der Magen: Der komplette Trip dauert etwa elf Stunden. In einem Treppensystem aus Schleusen geht es dabei in nur sieben Stufen einhundert Meter hinauf. Im Schnitt vierzehn Meter pro Schleuse, durch Kammern, die für Fracht- und Kreuzfahrtschiffe gemacht sind. – 24 Meter breit, 233 Meter lang. An den 15 Meter hohen Wänden gibt es keine Ringe, Pipes oder Poller. Mit Glück kann ich an einer Leiter längsseits gehen. Sonst stehen für „Pleasure Boats“ nur lange Leinen zur Verfügung, die an den Schleusenwänden herabhängen.
Um Schleusen dieser Größe zu füllen, braucht es enorme Wassermassen. Damit das nicht ewig dauert, schießt das Wasser am Boden von beiden Seiten durch große Rohre und sorgt für Wirbel und Strömungen, die jeden Chaosforscher Jahrelang beschäftigen könnten. Als Minimum hat der Kanalbetreiber wegen dieser Stömungen auch eine dreiköpfige Crew vorgeschrieben. Mir werden zwei Segler als „Linehandler“ zur Seite stehen, die ich hier im Hafen von Port Dalhousie kennengelernt habe.