LaSalle, Ontario, Kanada. – Ein Jahr zieht manchmal einfach so ins Land. In Konstanten gehüllt schleicht es sich zuweilen am eigentlichen Leben vorbei, leise und unauffällig. Wenn man es dabei erwischt, ist es an der Zeit einen Blick unter seine Tarnung zu werfen. Denn zu häufig legt er sich einen Umhang namens Alltag zu, um darunter den Schatz des Unerwarteten und Neuen zu verbergen. Loszusegeln war der beste Schritt, diesen Mantel zu lüften!
Am Strand von Leaf Cay lag ich im November 2010 im Sand und sah einem Winter ohne Tannengrün entgegen. Kein Schal und keine Winterstiefel in Griffweite. – Weiße Weihnacht versprach bestenfalls der Korallensand vor der türkisblauen See der Bahamas. – Ich war zuvor noch nie in den Bahamas und hatte noch nie karibischen Wellen zugesehen. Heute, im Herbst 2011 ist das anders. In zweieinhalb Wochen geht mein Flieger Richtung Europa. – Zurück für ein halbes Jahr. Mein Basislager für die kommenden Monate wird in der Schweiz sein. – Ich war noch nie im Winter in der Schweiz und ich habe noch nie auf Skiern gestanden.
In Kanada zu bleiben, hier über den Winter zu arbeiten, wäre dazu die Alternative gewesen. Und es wäre sicher aus Sicht des Seglers ein weniger radikaler Bruch, wie mir auch der Eine oder Andere per E-Mail vorschlug. Das stimmt: Aus der Perspektive des Fahrtenseglers, der durch die Welt vagabundiert, ist mein Rückflug sicher ein Bruch. Der Alltag des Seefahrers sieht wilde See und romantische Ankerplätze vor und führt allein dabei tagtäglich neue Schätze zutage. Schätze, die ich nicht mehr missen möchte. Und gerade weil es mein Alltag ist, lohnt es einen sorgsamen Blick darauf zu werfen: Bin ich nur der vagabundierende Segler? Bin ich nur der „Journalist auf Weltreise“, wie mich die Zeitung The Windsor Star gestern beschrieb? Bin ich ein Reisender, irgendwo zwischen Start und Ende? – All das beschreibt einen Teil, dessen, was mich zum „Ich“ macht.
Und das „Ich“ auf dieser Reise steht vor einem neuen spannenden Abenteuer. Der Winter in Europa ist eine Unterbrechung vom Alltag des Vagabunden, sie führt den Träumer zurück an den Ort des Traumes und bestärkt den Hunger nach den Orten der Träume.
Inzwischen ist die Reparatur des Motors offenbar so gut wie abgeschlossen. Einen Monat hat es gedauert, wenn er am kommenden Montag wieder unter dem Niedergang verschwindet. Die Reparatur wäre nicht möglich gewesen, wenn ich nicht die kompromisslosen Zusagen von Freunden gehabt hätte, mir das nötige Geld leihweise vorzuschießen. Nicht weniger beeindruckend sind auch die kleinen und großen Spenden, die mich immer wieder erreichen: „Kopf Hoch“, „Wird schon werden“ … Die Betreffzeilen hinter Summen zwischen 5 und 250 Euro sind für mich mehr als nur finanzielle Hilfe. Sie füllen auch die anonymen Zahlen der Statistik meiner Webseite mit realen Personen. Danke dafür an Martin, Torsten, Walter, Sonne, Michael, Stephan, Kerstin, Helge, Ben, Johannes, Joachim, Klaus, Sven, Michael, Chris, Thomas, Sebastian, Frank und Kai!