Zeit, den Zeichen in ihre untrügerisch leuchtenden Augen zu schauen: Für das Wochenende sind in Zürich über zwanzig Grad angesagt, statt eiskalter Finsternis lacht jeden Morgen die Sonne durchs Fenster und draußen sitzt die erste Mücke an der Scheibe. Spaziergänge finden wahlweise in Jacke ODER Pullover statt. – Es wird Frühling.
Ganz wohl ist mir dabei nicht. Einerseits kommt der Frühling – das kennt jeder Bootseigner – überraschend schnell und es sind noch unendlich viele Dinge zu erledigen, bevor es zurück an Bord geht. Andererseits verplempert man wertvolle Wochen, wenn man den Saisonstart zu spät ins Jahr vertagt.
Ein limitierender Faktor, also ein mehr oder minder frei gewählter Zeitpunkt muss her, damit die Saison beginnen kann. Der ist natürlich leicht gefunden, wenn man sein Boot einige tausend Meilen von zuhause entfernt hat. Ferienkalender bestimmen die Anreise. Denn kostet ein Flug nach Toronto oder Detroit während der Osterferienzeit 2.000 Euro, sind es eine Woche später nur noch 1.000. Wer knapp bei Kasse ist, wählt zudem die Ochsentour. Die ist für die Hälfte zu bekommen und beinhaltet sechs Stunden Aufenthalt im wundervoll dekorierten Terminal 8 des New Yorker Flughafens JFK. Mit seinem funktionellen Charme der mittleren achtziger Jahre der ideale Ort, um sich an alte Filme aus meiner Kindheit zu erinnern. Dann ein kurzer Hops und drei Stunden Warten in Toronto, bevor um halb zwei Uhr morgens der Bus nach Windsor seine vierstündige Reise quer durch Ontario beginnt. Erzähle ich davon höre ich häufig einen Kommentar in der Art: „Ach wie blöd?“. Ich antworte dann meist: „Eigentlich nicht! Am meisten freue ich mich auf die Busfahrt. Ein Klassiker nach Hollywoodmanier: Ein Reisender, der früh morgens irgendwo mit einem Bus ankommt und sein Abenteuer beginnt.“
In den Siebzigern waren das häufig Flughafenszenen. Damals war Busfahren eben normal und das Fliegen etwas Besonderes. Inzwischen sind Flughäfen in unserem Leben aber fast zum Alltäglichen geworden. Man steigt im Winter in Hamburg, Berlin oder München in einen Flieger und stolpert irgendwo acht Stunden später unter Palmen wieder heraus. Das Reisen selbst ist im perfekt organisierten Kosmos der Pauschalbuchung kein Bestandteil der Reise mehr. Der Sitznachbar ist kein Gefährte im Abenteuer, sondern schlimmstenfalls ein nach zehn Stunden Flug nicht mehr ganz frisch riechender Gegenstand, der von höherer Gewalt neben einen gepflanzt wurde.
Ein Beispiel: Das vorletzte Weihnachtsfest ist vermutlich vielen in Erinnerung geblieben, die am Londoner Flughafen festsaßen und im Kreise wildfremder, statt in der Familie Heiligabend verbrachten. Ich lauschte den Geschehnissen damals im knisternden Kurzwellenradio am Ankerplatz vor Staniel Cay, irgendwo in den Bahamas. Vielleicht verschob diese Atmosphäre mein Bild etwas ins Romantische, aber damals war sicher der Eine oder Andere zwischen den Fluggästen, der mit leuchtenden Augen ein Abenteuer erlebte. Inzwischen ist der Ärger sicher bei fast allen Betroffenen verflogen. Der Stopover ist im Nachhinein zu einem Erlebnis mutiert, von dem sie noch ihren Enkeln erzählen. Und das Jahr davor? Oder danach? Der Flug zu den Lieben daheim von Barcelona über Heathrow nach Stockholm war doch kaum mehr, als eine lange Busfahrt.