Kincardine, Ontario. – Im zweiten Anlauf den Detroit River hinauf. Nicht viel Neues, im Geiste gehe ich noch einmal die Sehenswürdigkeiten beiderseits des Flusses durch. Die Ambassador Bridge, die Kanada mit den USA verbindet, der Firmensitz von General Motors, der mit allem Glanz eines modernen Gebäudes versucht die Situation des Automarktes zu negieren. Gegenüber leuchtet die Reklame des Kasinos, das die Amerikaner früher in Scharen ins „verruchte“ Windsor gelockt hat. Nicht zuletzt passiere ich die Walker Whisky Destille… Zu Zeiten der Prohibition sicher der Inbegriff des Bösen. Hier wurde direkt gegenüber von Detroit gebrannt, was später nicht selten von den „Rum runners“ über den Fluss geschmuggelt wurde. Schnelle Motorboote Boot, die im Schutze von Bootshäusern mit Alkohol beladen wurden. Sie schossen mit Vollgas über den Fluss ans andere Ufer. Zeit war der Schlüssel für den Erfolg, denn sobald sie ihr Versteck verließen, versuchte die Polizei sie zu stoppen. Bevor die eintraf, musste die heiße Fracht entladen werden und der Rückweg ins sichere Kanada angetreten sein.
Ich habe es nicht ganz so eilig. Das GPS klettert wieder auf viereinhalb Knoten, der Gegenstrom zieht die Reise bis zum Lake St. Clair in die Länge. Aus dem einzigen Polizeiboot, das ich treffe wird freundlich herübergewunken.
Lake St.Clair ist klein und wird nur inoffiziell zu den Großen Lakes gezählt. Die gerade Mal 20 Meilen lange Überfahrt verbindet aber den Lake Erie mit dem Lake Huron. – Eine flache Badewanne, nur drei bis sechs Meter tief.
Unter der prallen Frühlingssonne heizt sich das Wasser darin schnell auf und führt zu Flauten, See- und Landwindeffekten. Die, die hier segeln, nennen ihn daher liebevoll „Lake St. Stupid“, denn der oft nur leichte Wind dreht alle fünf Minuten in unvorhersehbare Richtungen. Weht er stärker, bauen sich über den zahlreichen Sandbänken schon ab 20 Knoten erste Grundseen auf. Aber daran ist heute nicht zudenken. Ich kreuze, und halse über den See, ohne einmal den Kurs zu ändern.
Mein Tagesziel Sarnia werde ich kaum erreichen können. Zu viel Zeit habe ich im Leichten Wind auf dem See verloren und im St. Clair River nimmt die Strömung mit jeder Meile langsam wieder zu. In der Flussmitte sind es bald zwei Knoten. Ich halte mich am kanadischen Ufer. Dort kann man den Gegenstrom förmlich sehen. Mit einer Ovni oder einem ähnlichen Boot würde ich wohl den Kiel heraufholen und dort fahren. Aber Paulinchen muss im tiefen Wasser an der scharfen Kante bleiben. Auf etwa etwa zwei Bootslängen fällt hier der Grund von einem auf zwölf Meter ab. Ein schmaler Streifen, in dem der Gegenstrom erträglich ist.
Die Ufer werden schnell langweilig. Zu Beginn faszinieren kleine Dörfer und die flache Marschlandschaft des Reservates Warpool Island. Dann reiht sich Siedlung an Siedlung, aufgelockert von zunehmender Industrie. An Backbord sieht das Ufer anders aus. In den USA scheint das Leben am Fluss mehr ein Luxusgut zu sein. Es fehlt nicht an entsprechenden Siedlungen mit uniformen Häusern und zum Teil protzigen Bauten. Letzteres gibt es auf der kanadischen Seite auch, vereinzelt, eingebettet in einfache Häuser.
Fawn Island ist in dieser Hinsicht Musterbeispiel und sticht gleichzeitig aus der Reise hervor. Ich werde mit einem Feuerwerk begrüßt, als ich meinen Anker hinter der Insel in den Harten ausgewaschenen Boden des Flussbettes einfahre. Genau genommen galt das Begrüßungsfeuerwerk zwar jemandem anderes, aber ich freue mich trotzdem.
Aber am nächsten Morgen entfaltet die Insel ihren ganzen Charme. Autofrei, zaunfrei, überhaupt scheint man hier ehr frei… ein Netz aus kleinen Kanälen ersetzt die Straßen, denn zur Arbeit oder Schule muss man eh mit dem Motorboot über den Fluss an Land. Viele der Häuser werden zwar nur als Cottages in den Ferien genutzt, andere wirken aber dauerhaft bewohnt. Alle aber scheinen im morgendlichen Sonnenlicht frei von Zeit und unendlich gemütlich.
Ich lichte den Anker im halb zehn und beschließe mein nächstes Ziel: Kincardine, noch 20 Meilen Fluss, dann 80 Meilen offener Lake Huron. Der erste wirkliche Törn des Jahres durch die Nacht. – Ich liebe Nachtsegeln.
Doch dem steht noch die Blue Water Bridge in Sarnia im Wege. Nicht wörtlich, denn hoch genug ist sie. Doch der St. Clair River verengt sich genau hier an der Mündung des Lake Huron auf seine schmalste Stelle. Das Kabbelwasser wird von Wind und zahllosen Motorbooten, die mit voller Kraft gegen vier Knoten Strom anarbeiten, angefeuert. Paulinchen bleibt dicht am Ufer. Sie tanzt zwischen Gegenstrom und Neerstrom wird immer wieder von kleinen Strudeln erfasst, mal 7 Knoten auf dem GPS, dann wieder nur einer… Fast die gleiche Menge Wasser, die in diesem Augenblick die Niagara Fälle hinunter stürzt, muss in diesem Moment eine etwa hundert Meter breite Stelle passieren.
Nach einer halben Stunde liegt der Lake Huron still vor dem Bug, das Tosen von Wasser und Motor ist dem leichten Plätschern eines Segelbootes unter Segeln gewichen. Der Binnensee, ist nicht kleiner als die Nordsee. Rückenwind gab es schon lange nicht mehr und mit fünf Knoten zieht mein Parasailor Paulinchen in die Abenddämmerung.
Über mir der Große Wagen, vor mir das Sternenbild Cassiopeia. Die Formationen sind schwer zu erkennen, so viele Sterne leuchten am Himmel. Es ist eine mondlose faszinierende Nacht, in der über der Küste Michigans Gewitter toben. Weit weg, aber sicherheitshalber wechsele ich auf die Genua. – Was kümmert es mich, ob ich um vier Uhr mein Ziel erreiche oder erst um acht.
Die Nacht ist kalt. Später lerne ich, dass ich ein besonderes Phänomen des Lakes erlebe: Wenn die Nächte im Frühling auf Temperaturen um wenige Grad fallen, kündigt es sich auf dem Echolot an. Die Sonne hatte nur kurz Zeit, tagsüber den See an der Oberfläche zu erwärmen. Das Echolot zeigt falsche Werte, da die Temperaturgrenze den Ultraschall reflektiert wie eine Wand. Über dem warmen Wasser aber flimmert die Küste der USA in der kalten Luft. Eine Fata Morgana, denn die Lichter, die so dicht bei erscheinen, sind in Wahrheit über 60 Meilen entfernt. Verschwinden sie plötzlich, gilt es zu handeln. Der Wind dreht um mehr als 90 Grad, die Temperatur steigt innerhalb einer Minute um zwanzig Grad an. Die folgende Böe erreicht gute 30 Knoten, hält aber nur wenige Minuten an. Nicht einmal lange genug um zu Fluchen. Als ich die Geschichte später erzähle erfahre ich, dass das nicht selten der Moment ist, in dem sich eine Wasserhose in der Nähe bildet.
Noch während ich überlege, ob ich sicherheitshalber statt der Küste tiefes, Wasser fern ab der Küste ansteuern sollte, ist alles vorbei. Vor mir geht die Sonne etwas nördlich der der Richtfeuer von Kincardine auf. Um 6:45 Uhr passiere ich den äußeren Wellenbrecher. Ich bin nur noch eine Tagesreise von der Georgian Bay entfernt.
Das Hafenbüro öffnet um sieben, die Formalitäten sind schnell erledigt: Auf dem Tisch liegt ein Zettel:
„Hinnerk Weiler, Weltumsegler aus Deutschland wird voraussichtlich Montag einlaufen und ist Gast des Kincardine Yacht Club.“
– Vielen Dank!
Kommentare
Eine Antwort zu „Lange Wege“
Moin Hinnerk!
Schön Dich wieder von unterwegs im RSS-Reader zu haben. Ich wünsch Dir vor allem eines: hab Spaß und genieß die Zeit!
Cheers,
Matthias