Es blubbert und röchelt aus dem Teekessel und ich bin dabei eine Erfahrung zu machen, von der ich vor einigen Monaten insgeheim geträumt hatte. Damals kam ich über Flüsse durch die Wälder und Sümpfe Alabamas in Richtung Meer. Immer wieder fragte ich mich, wie grausam die schwüle stickige Luft hier im Sommer wohl sein muss, wenn Horden von Insekten für mehr Schatten sorgen als Wolken. Ich war dort im November und Dezember. Tagsüber kletterte das Thermometer dennoch immer mal in die zwanzig Grad Gegend, das morgendliche Kaffeekochen aber diente nicht zuletzt dazu, die Kajüte einwenig aufzuwärmen.
An Tagen wie heute wünscht man sich in Süd-Florida ein Boot mit separater Pantry: Der Windzug unter Deck ist minimal, tiefe Wolken hängen über Fort Myers. Schwüle 26 Grad bereits beim Aufstehen um acht Uhr morgens. – Kocher anzünden fordert da Überwindung. Nur die Vorstellung den trägen Geist mit einem Kaffee zu beleben treibt zu dieser nahezu unmenschlichen Leistung an.
Vielleicht nicht unmenschlich, aber zumindest dumm war, was ich mir für diesen Frühling vorgenommen hatte. Es gab einen Plan A, dem zufolge wäre ich jetzt irgendwo zwischen der Südküste Kubas und dem Nordufer von Jamaica. Dann war da ein Plan B, demnach müsste ich jetzt seit einer Woche gegen Südöstliche 15 bis 25 Knoten zwischen den Bahamas und Kuba hindurchkreuzen und langsam in Richtung Windward Passage laufen. Und jetzt gibt es erst mal gar keinen Plan mehr!
Außer, dass Kinga mich in etwas über einer Woche hier besucht und nicht in der Dominikanischen Republik.
Wir werden einfach hier bleiben. Bis zum 25. Mai. Dann ist hier Sommer und die „Saison“ längst vorbei. Kanadier, die vor dem Winter hier her geflüchtet sind, sind wieder zuhause und Einheimische sieht man vermutlich in erster Linie zwischen klimatisierten Häusern herumhuschen.
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Gestern habe übrigens ich Bonnie und Bill von der Elissa II wiedergetroffen. Sie sind ebenfalls etwas langsamer als geplant und erzählten mir von einem Charterurlaub vor zwanzig Jahren Ende Mai in Key West. Das liegt knappe hundert Meilen südlich von hier und nach dem Urlaub gaben sie sich das Versprechen, nie wieder nach März Florida zu besuchen. – „Naja, und jetzt sind wir hier“, lacht Bonnie.
Frühsommer in Florida ist eine Sache, die Erfahrung einen Sommer in Hurrikan-Land zu verbringen eine andere. Es wäre spannend und sicher auch journalistisch interessant. Paulinchen für ein gutes Foto zu riskieren ist aber eben mehr als nur ein Job.
Ich bleibe wohl trotzdem. Ein bisschen weiter im Norden gibt es gute Möglichkeiten zum Ankern in sicheren Flüssen. Denn die Zeit reicht ab dem 25. Mai kaum noch, um hurrikansicher irgendwo in den Süden zu kommen.
Außerdem habe ich die Reise nach Trinidad vor allem abgebrochen, weil Paulinchen einige Macken entwickelt hat und ein unerwarteter Squall bereits auf den ersten Meilen seine Spuren hinterließ.
Rost an Wantenspannern beispielsweise war auf den Flüssen leicht heruntergespielt. Auf der Liste für das geplante „Refit im Süden“ musste man sich damit nicht weiter beschäftigen. Aber nach nur einer Nacht in 30 Knoten Wind merke ich, dass es damit nicht getan ist. Die ganze Überfahrt von Nord-Florida in Richtung Key West war der Blick auf die Wanten und ihre Spanner gerichtet. Unsicherheit ist kein Zustand, für eine zu verantwortende mehrtägige Off-Shore Passage. Erst recht nicht, wenn diese gegen vorherrschende Passatwinde in Richtung Südosten geht und viel vom Boot fordert. Ich muss zugeben, den Trip in die Karibik unterschätzt zu haben. Die Hurrikan Zeit ist damit beinahe zur willkommenen Gelegenheit geworden, sich auf darauf besser vorzubereiten.
Denn Zeit und Kosten dieses Refits sind die Gründe, warum ich viele der Arbeiten immer wieder aufschieben musste. Und inzwischen ist die Liste lang, umfasst neben neuen Wanten: einen Besuch beim Segelmacher, eine neue feste Sprayhood, Teile der in Salzwasser getränkten Elektrik zu erneuern, schön wäre ein kleiner Kartenplotter, neue Batterien, die Reparatur der seit anderthalb Jahren funktionslosen Kühlbox, einen Windgenerator oder weiteres Solarpeneel und nicht zuletzt für den Süden Südamerikas ein Ofen zum Heizen.
All das kostet neben Zeit eine Menge Geld, das erst einmal verdient werden muss. Daher müssen die Arbeiten über die kommenden Monate verteilt werden. In dieser Zeit nicht geografisch vorankommen zu müssen, hilft. Denn so kann ich die Zeit nutzen, von weiteren Pocketstories bis zu Aufträgen in ganz anderer Richtung.
Aber vor allem kommt wieder Ruhe ins Reisen. In den Flüssen war ich gerieben von der Vorstellung vor dem Winter hinter mir zu fliehen, und nun gejagt von den Stürmen des Sommers. Das Fahrtensegeln hat unter diesem Vorankommen gelitten und viel Landschaft zog ungesehen an mir vorbei.
Das erste „Erledigt“ auf der langen Liste von Unzulänglichkeiten an Bord steht daher jetzt hinter „Außenborder“. Im englischen Blog habe ich dazu schon ein ein bisschen mehr geschrieben. Er gibt mir die Freiheit, jetzt erst einmal Fort Myers näher zu erkunden. Menschen, und Natur. Den unvorhergesehen Aufenthalt mit unvoreingenommen Eindrücken zu kombinieren. Denn genau dafür bin ich in Hamburg vor einigen Jahren aufgebrochen.
Der morgendliche Kaffee ist inzwischen alle, ein Schauer brachte etwas Abkühlung, selbst unter Deck. Hinter dem Mooringfeld gibt es einen Mangrovenwald, in dem neben tausenden von Moskitos auch Seekühe heimisch sein sollen. Zeit, einen Blick auf das Land zu werfen, das an Paulinchen seit dem letzten Herbst vorbei gezogen ist. Sehenswert ist es!
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