Vor Ramsgate zeigt der englische Kanal kurz, dass er es bisher gut mit mir meint und auch ganz anders könnte. Anderthalb Meter See rollt quer zur Hafenausfahrt. Paulinchen rollt mit 30 Grad nach Backbord, dreißig Grad nach Steuerbord. Von Seite zu Seite in weniger als zehn Sekunden. Schon bei der ersten Tonne der Hafenansteuerung füllt sich der Cockpitboden und es leeren sich die Regale. Eine Stunde lang geht es so weiter, dann kann ich endlich abfallen und die Tonnen des Gull Stream anlaufen.
Den Hafenmeister hatte ich vorm Auslaufen noch gefragt, ob das nur ein Name sei, oder ob das „Stream“ etwas zu bedeuten hätte. Seine Antwort: „Just a name“ – das Zucken in seinen Augen ließ etwas anderes erwarten. Das konnte man aber schon auf der Karte sehen: Es weht aus Ost-Nord-Ost, ich verlasse den Hafen bei einsetzendem Ebbstrom. Im Freien Wasser sind das hier anderthalb Knoten nach Südwest. Der „Stream“ ist aber kein freies Gewässer, sondern eine Rinne mit 12 Metern Tiefe, bei Hochwasser also etwa 16 Meter. Begrenzt wird er von Flachs, die bei Ebbe einen Meter hoch trocken fallen. In der Spitze kommt das GPS hier kurzzeitig auf 12 Knoten Fahrt im Surf – nur unter Genua. Wieder einer der Tage, an denen ich mir eine Logge unter Rumpf wünschen würde.
Etwas über eine Stunde später stehe ich bereits am Ende der Passage und vor den vor den White Cliffs of Dover. Mir zieht sich das Herz zusammen. Die Nordsee ist endgültig vorbei. In der Straße von Dover, bevor in Deutschland die meisten Boote aus ihren Winterlagern heraus sind. Das ist doch irgendwie nicht richtig..
Mitten in der Nacht, noch immer im Dauersurf auf den achterlichen Wellen passiere ich gegen vier Uhr Englischer Zeit (drei Uhr UTC) den Nullten Längengrad. Auf dem GPS wird aus „E“ ein „W“. Sonst ändert sich wenig. Innerlich fahre ich einmal senkrecht nach unten – gegenüber liegt jetzt die Datumsgrenze – zwölf Stunden Zeitunterschied. Wenn ich da ankomme, dann denke ich an diese Nacht vermutlich auf der Südhalbkugel in türkisblauem Wasser und vor Anker an einem mit Palmen bewachsenen Strand.
Ich habe mich an Bord nach einer Woche mehr eingefunden, als auf der Nordsee. Lasse mich nachts nicht mehr müde in Ölzeug für kurze Pausen auf die Koje fallen, sondern ziehe Jacke und Hose aus, stelle den Wecker und lege mich hin. Abends schalte ich die Heizung ein, morgens zum Frühstück gibt es frischen Kaffee – egal, wie viel noch von der Nacht übrig ist. Spätestens ab 21 Uhr beginne ich damit meine Schlafetappen einzuhalten. Das geht erstaunlich gut, denn die Schifffahrt findet ausschließlich südlich im Großen Verkehrstrennungsgebiet „Street of Dover“ statt.
Der Morgen bringt Flaute. – Sechs Stunden lang 5 Knoten mit Ebbstrom, dann sechs Stunden lang Motor an und 2,5 Knoten gegen den Flutstrom. Die Akkus sind jedenfalls voll. In der achterlichen See klappert und klötert es aber an jeder Ecke. Eine vollkommen diffuse See wirft das Boot hin und her. Wind gegen Strom ist anstrengend. Strom gegen windlose Restdünung. Geschirr rutscht hin und her, die Segel schlagen… mir dröhnt der Kopf.
Langes Warten auf die gegen Abend angekündigte Windzunahme. Wenn nicht, drehe ich ab und gehe im Spithead vor Anker. Klingt verlockend. Aber dann muss ich ein anderes Mal hier durch und vielleicht meint der Kanal es dann nicht mehr so gut und jagt mir statt der seichten Kabbelsee eine Portion Atlantik Schwell entgegen.
Zur Entschädigung werden es zwei oder drei Tage mehr in Falmouth werden. Bisher nimmt sich das ganze hier aus, wie der Start zum größten Rennen um die Erde? Erdmann brauchte damals im August 1999 beim Start zur Einhand Nonstop Weltumsegelung gegen den Wind ganze neun Tage von Cuxhaven bis zur Isle of Wight. Ich bin jetzt genauso lange unterwegs, mit dem Wind und habe sogar zwei Tage Pause in Ramsgate gemacht.
Falmouth liegt am Ende des Kanals, gleich neben Lizard Point, dem ersten Stück Land, das viele Seefahrer vom Atlantik kommend zu Gesicht bekommen. Was wäre vernünftiger, als sich etwas Ruhe zu gönnen, vor allem, nachdem die letzten Wochen vor dem Start hektisch und Kraftraubend waren. Zwei Tage Bummeln, Dann das Boot aufklaren, Wasser bunkern, einiges erledigen und dann in aller Ruhe auf den Atlantik zu starten? Ich habe alles, was ich brauche dabei – das einzige, was für eine entspannte Pause fehlt finde ich in Falmouth: Eine gut geschützte und kostenlose Ankerbucht. Irgendwo im River Fal. (Achtung Lernkurve: Mir wird gerade Klar, warum Falmouth so heißt – und tatsächlich Plymouth, Dartmouth alles – Flussmündungen. Und was ist mit Dortmund?)
Weitersegeln wäre sowieso nicht angeraten, Im Gegensatz zu diversen Flugreisenden macht mir zwar keine Asche aus Island Probleme, dafür aber ein reichlich hohes Hoch über Irland, ein reichlich tiefes Tief in der Biskaya. Dazwischen gäbe es zwar Rückenwind, den aber auch in Sturmstärke. Man muss das Aprilwetter ja nicht unnötig herausfordern.
Kommentare
Eine Antwort zu „Falmouth“
Hallo Herr Weiler,
habe sie bis Falmouth begeistert täglich verfolgt. Da ich die Goodwin Sands vor Margate, (Ramsgate) und Dover kenne fand ich es äußerst spannend. Wann geht es endlich weiter? Ich freue mich wenn ich Ihre Meldungen lese. Weiterhin wünsche ich Ihnen toi toi toi und immer ein Hand Wasser unter dem Kiel und keine Netze mehr in der Schraube.
Viele Grüße aus Darmstadt,
Michael