Annapolis. – Angekommen am verregneten Donnerstag des 13. Aprils, ankerauf an einem verregneten 19.Mai. Über einen Monat waren die verträumt daliegenden Villen am Spa Creek Kulisse meines Zuhauses. Einer der besten Ankerplätze meiner gesamten bisherigen Reise!
Annapolis ist einer dieser Orte, die mit ihrer Beschaulichkeit, ihrem historischen Stadtkern, ihren Trolleys und auch der Ice-Cream-Factory im Hafen, Ruhe und Beständigkeit ausstrahlen. Einen Hauch von Bedeutung verleihen das Capitol und die Navy Academy. Für neun Monate war die heutige Hauptstadt Marylands die Hauptstadt der USA. Seit 166 Jahren ist sie für vier Jahre Heimat eines jeden Offiziersanwärters der US-Navy. Gastfreundlichkeit ist für so einen Ort eine Selbstverpflichtung. Und nach langer und anstrengender Anreise nimmt man die besonders gern entgegen. Doch dann wacht man eines Morgens auf und findet sich selbst auf der Schwelle zwischen dem einem Leben unterm Rigg und dem Leben unter Segeln; noch nicht ganz Dauercamper und nicht mehr ganz Weltenbummler. Es ist der Moment, der keinen Aufschub mehr erlaubt: ankerauf!
All die unerledigten Dinge, denen der im Fluss der Tage eingelullte Skipper viel zu lange Aufschub gewährte, sind in einer Stunde abgehakt. Die Kuchenbude ist verstaut, der Diesel rüttelt sich warm. Ein letzter Schauer fegt über das Boot, eine halbe Stunde kämpfe ich, bis die beiden inzwischen tief im Schlamm vergrabenen Anker an Deck sind.
Das kurze „Goodbye“, ist nur geflüstert. Denn für einen persönlichen Abschied fehlt es im Annapolis dieser Tage an Bekannten und erst recht an neu gewonnen Freunden. Die „Nachbarn“ an Land sind, ganz untypisch für die USA, mit Mühe zu einem „good morning“ zu bewegen gewesen. Andere Fahrtensegler, die länger als ein oder zwei Tage blieben, gab es hier im Creek nicht. Das soll, anders sein, wenn im Sommer Boot für Boot hier einen langen Zwischenstopp macht. Aber vom Sommer war bestenfalls ein Vorgeschmack zu erahnen. Die Mooringbojen blieben verwaist, nur zaghaft füllten sich, Wochenende um Wochenende, langsam die Stege der Dauerlieger. Einwenig habe ich schon das versprochene Auf und Ab der Motorboote in der Ego-Ally vermisst: Wo um den Independence Day durch die offenen Türen die eisige Kälte der Klimaanlagen auf die Terrassen der Bars am Hafen strömt, führen dann PS-starke Skipper graziöse Linien vor. Der Spitzname des Stichkanals zeugt dabei nach Auskunft der Hafenmeister weniger von der Bootsbaukunst der Yachten, sondern der mitgeführten Bowbunnys. Aber der regen- und gewitterreiche Frühling lockte bisher weder auf Flybridges, noch in Bikinis.
Der Weg auf die Bucht hinaus lässt wieder die Frage aufkommen, ob es vielleicht einfach nicht sein soll. Ob das hinter mir aufziehende Gewitter der eiskalte Wink des Universums ist, das sagt: „Vergiss die ganze Idee mit den Great Lakes, schreib die Etappe binnen über Chicago ab und segel irgendwo anders hin.“ Das Resümee klingt fast so: Acht Wochen sind seit dem Verlassen der Bahamas vergangen. Zwei davon waren ohne Gewitter, keine drei Tage ohne Regen. Letzterer macht mir unter Deck nur in Form eingeschränkter Bewegung zuschaffen. Aber überall entlang meiner Route quillen Flüsse aus ihren Ufern und sind Etappen seit Wochen unpassierbar. Die Hochwasser des Mississippi sind selbst in den Nachrichten der Deutschen Welle. Schon der Weg zu den Great Lakes sieht derzeit wie bei meiner Ankunft im letzten Herbst aus: Hochwasser, gesperrte Schleusen, Sackgassen. Die Stichworte in den „Nachrichten für Seefahrer“ zu allen Meldungen sind unverändert: „until further notice“, „unforeseeable“ – „bis auf weiteres“, „unvorhersehbar“.
Immerhin, nächste Woche sollen Termine genannt und Teile des Champlainkanals wieder öffnen. Mein inzwischen wachsender Pessimismus scheint von offizieller Seite aber geteilt zu werden: „Sofern das Wetter erlaubt“, bremst die Meldung gleich zu beginn alle Begeisterung. Der Weg (s. Karte weiter unten) am Eriekanal vorbei nach Norden ist derzeit meine favorisierte Route und führt vom Hudson Richtung St.Lorenz Strom. Nördlich des Lake Champlain müsste ich dann durch den Richelieu Kanal und über den St.Lorenz River durch Montreal und in den Lake Ontario. Dreihundert Meilen Umweg, aber deutlich weniger Schleusen. Vor allem eine Einladung in Montreal günstiger die Arbeiten am Unterwasserschiff machen zu können, locken.
Der Hochwasserabfluss von den Great Lakes betrifft aber auch den St. Lorenz Strom. Die normalerweise zwei bis drei Knoten Gegenstrom dürften sich zu Zeit verdoppelt haben. Pegelstand zurzeit eher steigend, als fallend. Und der Champlainkanal ist auch „teilweise“ geöffnet kaum mehr als eine Sackgasse. Vor all dem steht ohnehin die Passage des Hudson. Zwischen New York City und Albany dürfte der die nächsten Wochen nur im Sechstundentakt zu befahren sein, wenn auflaufendes Wasser den Strom Richtung Atlantik bremst.
Die Mündung des Hudsons erreiche ich von hier aus langsam bummelnd in etwas über einer Woche. Es bleibt also beim „Keine Eile dieser Tage“. Die Blog-Headline von vor einigen Wochen scheint sich zum Motto für den Frühling zu entwickeln. Mein Gewissen ist daher nur wenig gerührt, wenn ich den Bug drei Seemeilen nach dem Verlassen von Annapolis auf die Mündung des Back Creek richte. Unter den wachsamen Augen eines Fischadlers fällt fünfzehn Minuten vor dem nächsten Gewitter der Anker. Ein guter Start. Langsam weiter weiter bummeln.
(KARTE UNTEN: Schleuse Nummer eins des Erie-Kanals liegt noch auf dem Hudson River. Der eigentliche Kanals zweigt kurz danach bei Waterford nach Westen. Nördlich, den Hudson weiter hinauf, liegen der Lake Champlain und der Champlainkanal auf der Route ins Kanadische Montreal)