LaSalle, Ontario, Kanada. – Es ist kein Tag, an dem sich Fernweh ausbreitet. Schon beim Aufwachen sehe ich meinen Atem als Dampfwolke unter Deck aufsteigen. Der Herbst hat offenbar gegen den Sommer gewonnen und macht sich nun mit schweren Wolken über die Beute her: Regen trommelt an Deck, im Rigg heulen über 30 Knoten Wind. Heute möchte man nicht woanders hinsegeln, heute möchte man woanders sein.
Während das Draußen in dunkle Farben des stürmischen Wetters gehüllt ist, machen sich in mir pastellfarben die Bilder des vergangenen Winters in den Bahamas breit. Türkis liegt das Wasser vorm Bug und allein das Leuchten des Korallensands am Abend vor einer Insel gibt die Energie, heute die Decke zurückzuschlagen und aufzustehen.
Wie sehr ich süchtig bin, muss ich mir an diesem kalten morgen eingestehen. Denn schon im ersten Moment meiner Ankunft in Nassau, hatten mich die Farben von Wasser, Himmel, Land und Leuten erfasst. Wie ein williger Junkie nahm ich sie auf und seit dem betrachte ich sie immer wieder, wenn die Reise ins Stocken gerät, wenn es ungemütlich wird oder mich der Mut verlässt.
Ein halbes Jahr nach meiner Ankunft segelte ich Richtung Norden aus dem Archipel heraus und fragte das Logbuch, was mich zur Weiterreise bewegt: „Es fühlt sich an, als treibe mich vor allem das Versprechen, diese Route durch die Lakes zu machen. Warum nicht einfach Kurs Süden und noch vor den Hurrikanen in Venezuela sein? Warum überhaupt all diese schönen Bilder hinter mir lassen und mich in einen kalten Norden aufmachen?“ Das Buch blieb mir eine Antworten schuldig und schon wenige Tage auf See ließen die Freude über das Kommende stärker werden, als die Sehnsucht nach dem hinter mir liegenden. Doch losgeworden bin ich das Leuchten nie wieder. Heute Morgen schrieb ich: „Der dauerhafte Aufenthalt in diesen Farben würde mich der Barfusroute folgend vermutlich blind für ihre Schönheit machen. Doch möchte ich nie einen Punkt erreichen, an dem mich meine künftige Route nicht wieder in diese Reviere führt.“ Das wirft eine neue Frage auf: „Wieviele Zuhause kann ein Vagabund am Ende haben?“