Plötzlich ist das Wasser weg. Ebbe und Flut sind für die meisten Skipper, die sonst in tidenarmen Revieren segeln, meist ein Graus. Auf einmal diktiert die Uhrzeit, wann ausgelaufen wird. Halb sechs in der Früh klingelt der Wecker; noch einen Kaffee, Leinen los. – Im Urlaub! Müde Blicke der Crew wandern durchs Cockpit und stellen die unausgesprochene Frage: Warum tut man sich das an?
Aber es hilft nichts. Später ist der Zielhafen für Stunden unerreichbar und wer zur falschen Zeit im Glauben stromab zu segeln auf die Elbe fährt, sieht sich unverhofft drei Knoten Gegenstrom ausgesetzt. Wieder Kreisen die Blicke im Cockpit: Ist das schöner als ankern vor Bagenkopp?
Der Skipper geht noch mal den Tidenkalender durch. Wie ging noch gleich die 12er-Regel? „Kommen wir wirklich noch rechtzeitig an, bevor es in der Einfahrt zu flach wird?“
So ganz hat es am Ende dann doch nicht gepasst. Am Ziel der Reise stehen wieder vier Knoten Querstrom vor der nur zwanzig Meter breiten Hafeneinfahrt. Wie ein Faden durch die Öse einer Nadel geht es mit sechs Tonnen Eigengewicht und Vollgas gegen den Strom hinein. – Komfortzone sieht anders aus.
Applaus von der Crew quittiert das passieren der Molenköpfe. Beim Festmachen nur noch darauf achten, dass es wirklich ein Schwimmsteg ist, damit das Boot nicht auf einmal über dem Wasser an den Klampen hängt, während in der Hafenkneipe die Segelkünste gefeiert werden. Denn alle an Bord sind sich einig: Ein spannender Tag mit Eindrücken wie lange nicht mehr, liegt im Kielwasser. Und morgen? – Der Skipper grinst: „Ausschlafen! Vor elf kommt eh nicht genug Wasser und dann geht es im Ebbstrom mit mehr als 10 Knoten weiter.“ – Die Blicke der Crew kreisen wieder: Ein tolles Revier.
Titelfoto: Bay of Fundy – Der weltgrößte Tidenhub legt den Hafen von Hall’s Harbour täglich komplett trocken.
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