Zack, ein Heulen im Rigg kündigt die zweite Hälfte des Sturms an. Der Wind hat auf Süden gedreht, der Wetterbericht singt wieder seine „gale warning, near gale warning and strong wind advisories“. Wir sind diesmal mit 12 Metern pro Sekunde und Schauerböen dabei. Im Schutze des Hafens machen mir sechs Windstärken nicht so richtig Angst und auch sonst scheint niemand nervös am Steg zu sein. Ich gehe früh zu Bett.
Zack, der Knall war amtlich und beendet gegen ein Uhr die Nachtruhe. Paulinchen ist mit einem ziemlichen Satz auf den Holzbalken der Betonbrücke gerummst. Dreißig Sekunden später sitze ich im Cockpit und wickle den Festmacher um die Spi-Winsch. Mit der Hand ist die Leine keinen Zentimeter mehr zu holen, so drücken Wind und vor allem die Wellen von achtern gegen das Boot. Bumm. wieder hartes Plastik auf – zum Glück – recht weichem Holz. Ich hole einen halben Meter mit der Kurbel, dann ist Ruhe.
Draußen ist lebhafter Betrieb. Überall auf der Luvseite des Steges winschen Crews die Boote zu den Bojen. Gegenüber werden zusätzliche Festmacher am Bug ausgebracht und Ruckfender montiert. An Schlaf ist scheinbar auf keiner Yacht zu denken. Der Wind steht genau aus Süden auf die ungeschützten Brücken der Marina. Die Wellen haben fast zwei Kilometer freie Bahn und finden hier den ersten Widerstand. Pekka sitzt nebenan verzweifelt auf seinem Vorschiff. Heck zum Steg schiebt sich die Badeplattform immer wieder darunter. „I can do nothing“ ruft er herüber. Er nicht, aber ich und der Skipper der Segelyacht auf der anderen Seite schon. Gemeinsam winschen wir mit Leinen zu seinen Heckklampen das Boot vom Steg weg. „Bumm“, knallt Paulinchen wieder gegen das Holz. Zwei Boote weiter Ruft jemand „17 Meters per second“. Leine am Heck ist nicht mehr zu holen. Wir liegen zu dritt an der Boje, das Motorboot wie ein Keil genau in der Mitte ist direkt vor dem Metallbügel über dem Schwimmer. Die anderen beiden Festmacher gehen im 45 Grad-Winkel zur Seite ab. Mehr Winschen bedeutet vor allem mehr Druck auf die ohnehin schon arg gebeutelten Fender zu bringen und das Boot in der Mitte noch mehr einzukeilen. Also montiere ich erst mal meinen Flachfender am Steg, bis mir etwas Besseres einfällt. Aber alles was mir einfällt ist, die Alternative zu diesem Platz an der ersten Brücke. Dort haben sich die Reihen gelichtet. Drei Boote haben in das nur wenig geschütztere Bojenfeld verholt und üben sich dort im Bockspringen. Auf den anderen Yachten ist niemand mehr am Schlafen. Wild stampfend schwingen die Masten über der Brücke hin und her. „Bumm“, der Fender ist verrutscht, der Vorsteven hinterlässt eine ansehnliche Kerbe im Holz und umgekehrt splittert etwas Gelcoat ab. Mittlerweile ist es vier Uhr und die Überzeugung reift, dass das übel ausgeht. Die Wellen laufen etwa 25 Grad seitlich von achtern unters Heck. Keine Chance, das Boot hier wegzubekommen, ohne an dem Motorboot, in Lee von fünf platt gedrückten Fendern, richtig Schaden anzurichten. Außerdem fährt Paulinchen sehr eigenwillig rückwärts. Einfach so liegen bleiben, bedeutet, dass irgendwann der Vorsteven den Geist aufgibt. „Bumm“, irgend etwas muss passieren, „Bumm“. Ich überlege, einen Fender mit langem Festmacher vom gegenüberliegenden Steg herüber treiben zu lassen. Die 50 Meter Leine müsste ich sicher zusammenstecken können. Dann ist das Hafenbecken zwar abgesperrt, aber hier fährt heute eh keiner freiwillig raus. Ich behalte das als letzen Ausweg im Auge. Vorher probiere ich es erst mal mit dem Motor. Der Radeffekt im Rückwärtsgang und die durchlaufenden Wellen bei gelegtem Ruder müssten mich von der Motoryacht etwas weg drücken, so dass ich weiter nach achtern komme, ohne Druck nach Lee auszuüben. Das funktioniert. Die folgenden Stunden sitze ich im Cockpit; kommen vorne die Festmacher locker, gibt es etwas mehr Gas, kommen sie steif, geht die Drehzahl wieder runter. Ich halte Paulinchen auf diese Weise tatsächlich vom Rucken in die Leinen und vom Steg ab. Und ein Ende ist auch in Sicht: Am Vormittag soll der Wind wieder abnehmen.
Tatsächlich frischt es um neun Uhr aber auf über 22 Meter pro Sekunde auf. Ich laufe schon mit Marschdrehzahl. Am Steg macht sich Galgenhumor breit: Man hätte es schlimmer treffen können. – Am ersten Steg steht seit drei Stunden jemand vor seinem Boot und kommt nicht wieder an Bord, weil der Bug ununterbrochen zwei Meter auf und ab schwingt, und die ersten Boote haben dort bereits beim Stampfen in der Welle kurzen Prozess mit den in der Betonbrücke eingelassenen Eisen gemacht. Paulinchen stampft auch, unter Deck dürfte mittlerweile ein ansehnliches Chaos herrschen, aber solange der Motor läuft, kann ich nicht viel mehr tun. Die Neugierde siegt. Mit Fotoapparat und Videokamera breche ich zu Steg Nummer Eins auf. Tatsächlich bietet sich mir ein Bild des Grauens, das ich so in einem Hafen nicht für möglich gehalten hätte. Eine Stahlyacht durchschlägt vor meinen Augen mit ihrem Bugspriet einen 15 Zentimeter starken Holzbalken, daumendicke Festmacher zerreißen wie Bindfäden, ein Fender platzt beim Zusammenprall zweier Yachten wie ein Luftballon. Immer wieder irgendwo ein Knall und das Geräusch berstenden GFKs. Dazwischen müde, verzweifelte Gesichter.
Gegen 10 Uhr dann die Erlösung: Ein Seenotkreuzer rückt an und beginnt damit, Yacht für Yacht von der Brücke zu ziehen. Um 11 ist auch Paulinchen dran und kommt in den Genuss von 1000 PS mehr im Rückwärtsgang.
Abgesehen von etwas Gelcoat ging die Sache für mich glimpflich aus. Nie wieder werde ich bei aufkommendem Starkwind aus Süden eine nach Süden gut geschützte Ankerbucht gegen einen miserabel geschützten Hafen tauschen.
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