Hier sitzen sie wie in einer Bahnhofshalle auf gepackten Koffern: Deutsche, Niederländer, Engländer. Alle warten auf den Anschluss für den weiteren Weg in die Heimat. Sie warten nicht auf ein Schiff, sondern auf den richtigen Wind für ihr Schiff. Nord, Süd, Ost. Nur nicht der Südwest, der seit Tagen zwischen fünf und acht Beaufort weht.
Die Ostseesaison nähert sich Mitte August spürbar dem Ende und aus aus allen Richtungen haben sich hier Yachten zusammengefunden, um auf den Absprung in die Westliche Ostsee zu warten. Jedes Boot beladen mit Erlebnissen und Crews voller Eindrücken. Wege kreuzen sich erneut: “Euch habe ich doch in Mariehamn schon mal gesehen! Kommt doch heute Abend auf ein Glas Wein herüber. Ihr habt doch bestimmt auch einiges zu erzählen.” Neue Boote, die durch die geschützten Schären oder dicht unter Land den Kalmarsund herunterkommen, werden mit dem üblichen “Woher, wohin” begrüßt.
Aus flüchtigen Bekannten nach einer Nacht am gleichen Steg werden nach einer Woche Nachbarn, solange der Windex im Topp auf das knapp fünfzig Meilen entfernte Simrishamn zeigt. Immer weniger kommen in den Hafen, kaum einer geht. Wer im Juni noch voller Tatendrang gegen alle Widrigkeiten zu neuen Ufern kreuzte, gibt sich jetzt lieber dem Bummeln nach Hause hin.
Der Alltag wird vom Gleichmut des Wartens bestimmt: Lesen, putzen, bunkern, faul im Cockpit liegen. Hier und da wird etwas repariert, Paulinchen bekommt eine elektrische Bilgepumpe, die Schapps werden nach und nach wieder mit Vorräten gefüllt und die Petroleumlampe im Salon hat einen neuen Glaszylinder. Auf den Stegen werden Wettervorhersagen verglichen.
Mittwoch wird der Schaffner kommen, mit lauter Pfeife dazu aufrufen, die Gemütlichkeit zu beenden. Die Ungeduldigen zieht es schon am Diensag Abend aus dem Hafen. Beim ersten Anzichen des angekündigten Nordwest verlasse auch ich den Hafen. Verabschiedungen, kurzes Besinnen auf gemeinsame Abende beim Wein und dann zieht jeder seines Weges.
Durch die ruppige See auflandiger sechs Windstärken geht es aus dem geschützten Schärenfahrwasser hoch am Wind Richtung Bornholm. Im zweiten Reff, mit halb aufgerollter Genua zieht Paulinchen mit viereinhalb bis fünf Knoten los. Das ist das schöne am Segeln mit einer Windsteuerung. Die Beaufort ist hoch am Wind eingestellt – und trägt zum ersten Mal die Starkwindfahne. So muss ich mich nicht um das angekündigte “Langam auf Nordost drehend” des Windes kümmern. Stattdessen sehe ich nur auf dem GPS, wie aus 200 Grad hoch am Wind im Laufe der Nacht langsam in weitem Bogen 250 Grad hoch am Wind werden.
Mit dem Sonnenaufgang kommt Leben auf. Im Funk wird sich verabschiedet, Man lag eine Woche beisammen, nun plant man an Punkten, an denen jeder vorbei muss, ein kurzes, vages Wiedersehen. Ystad, Klintholm, Gedser. Die meisten Wege verlaufen jetzt parallel. Entweder nördlich entlang der westlichen Ostsee oder an der Deutschen Küste. Wer nicht hier in der Nähe seinen Heimathafen hat, trifft sich noch ein letztes Mal in Kiel-Holtenau für den gemeinsamen Abschied aus der Ostsee durch den Nord-Ostseekanal.
Ich bleibe nur kurz ein Teil dieses Trecks. Ab Falsterbo geht es für mich wieder gen Norden in den Sund. Vorbei an Kopenhagen Richtung Anholt und dann in den Limfjord. Die Vorhersage ist gut, mahnt aber zur Eile. Einer Woche Zwangspause folgen vier Tage Südost. Ab Sonnabend weht im Kattegatt wieder West-Wind.
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