Und da ist nun das rührende Gefühl. So fühlen sich das Weiche in den Knien an. Über der Elbe liegt ein leichter Dunst, wie es sich für einen schönen Tag an meinem “Heimatfluss” gehört. Obwohl ich meine wenigen Segeltörns in diesem Revier beinahe mit Fingern abzählen könnte, bin ich doch irgendwie immer mit diesem Fluss verbunden gewesen. Als Segelrevier hat dieser Fluss etwas Majestätisches, mal geächtet, mal geachtet, mit der Tide als immerwährendem Gesetz.
Das beginnt damit, dass man nicht aufsteht und lossegelt, wenn es einem passt, sondern wenn es dem Fluss passt. Und der bittet um kurz nach acht Uhr morgens zur Audienz. Fast zwei Meter geht es langsam in der Schleuse abwärts, dann ist das Niveau des Elbe-Niedrigwassers erreicht. Hellbraun vom Sediment der trockenfallenden Sandbänke fließt noch der letzte Reststrom in Richtung Nordsee, dann geht es schnell. Aus 2,5 Knoten zu Beginn werden innerhalb einer Stunde 9,5 Knoten auf dem GPS – bei etwa drei Windstärken und lausig getrimmten Segeln. Rund fünf Knoten spendiert seine Majestät für den Ritt Richtung Hamburg. Statt fünf Stunden bis zur Mündung der Schwinge bin ich bereits nach knapp der halben Zeit vor Einfahrt in den gut geschützten Tidenhafen von Stade. Nicht wie geplant kurz vor Hochwasser, sondern mitten im auflaufenden Wasser. Paulinchens Nase zeigt geradewegs auf das abweisende Geröll am Elbufer, die Spundwände der Mündung liegen etwa 45 Grad an Backbord. “Ich kann’s noch”, murmle ich nicht ganz ohne Stolz und schlüpfe ohne Hundekurve in die Rund 20 Meter breite Mündung. – Tidensegeln, ob man es nun lieber ächtet oder achtet, ist eine Herausforderung. Erst recht nach einem halben Jahr auf der Ostsee.
Der Geist tobt, die Mundwinkel berühren die Ohrläppchen. Ich bin da, ich habe es geschafft. Was für ein Bild! Hier werde ich das nächste Mal in dieser Richtung segeln, wenn ich rund fünfzigtausend Seemeilen im Kielwasser habe. Die Landschaft ist eigentümlich, reizlos, beruhigend. Der Weg führt entlang der Deiche und ist mit nüchterner Industrie garniert. Was ist daran toll, von Kraftwerk zu Kraftwerk zu segeln? Gar nichts. Trotzdem fesselt mich der Anblick fast so wie die Reviere in Skandinavien und dem Baltikum.
Heckpfähle sucht man in den Häfen vergebens, auch Bojen sind ungeeignet, wenn der Wasserstand mehrmals täglich um ein oder zwei Meter schwankt. Dafür steigen Schwimmstege im Halbtagestakt auf und ab. Man liegt daran im Päckchen, hält einen Klönschnack von Cockpit zu Cockpit und genießt die unkomplizierten Menschen in diesem Revier. Ursprünglicher, manchmal wortkarg, doch an Bord scheint es so, als ob jeder jeden kennt. Und wenn nicht, wenn man seit Jahren zum ersten Mal hier ist? Wenn sich niemand ein einen erinnert und man selbst all diese Gesichter noch nie gesehen hat? Dann weiß das jeder, aber man merkt es niemandem an. Es scheint so, als hätte man erst vor wenigen Tagen nebeneinander gelegen, das Bier und den Rotwein abwechselnd den Niedergang heraufgeholt und sich Geschichten von wilden Helgolandtörns und krachenden Grundseen vor Borkum erzählt.
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