Der Abschied in Cuxhaven – na ja, ich gebe zu, mein Fehler – war etwas unkoordiniert. Tidenkalender lesen gehört eben nicht zu den alltäglichen Beschäftigungen eines Seglers, der eigentlich im Mare Baltikum zuhause ist und sich jetzt aufmacht, die Welt zu erkunden. Da ist vertauschen der Spalten Hoch- und Niedrigwasser fast so, wie irgend ein Riesenpatzer bei einer Generalprobe im Theater. Bemerkt habe ich Fehler dann beim Aufstehen, untrüglicher Indikator bei rund Drei Metern Tidenhub ist die Brücke zu den Schwimmstegen.
Aber dann war es doch so weit. Kollege Michael Bohmann stand mit seiner Frau und Kameras am Steg um alles zu Dokumentieren, Am Liegeplatz winken einige Hände und dann sind die Leinen auch schon los. Für langes Zurückwinken fehlt die Zeit, Klappbrückenwärter nehmen es mit den Öffnungszeiten bekanntlich genau. Kleine Überraschungen gab es vorher auch: Die wohl besten Crépes der Welt an der Klappbrücke mit „Weltumseglerrabatt“, und Räucherfisch für die Überfahrt.
Draußen brodelt die Elbe. Im Tiefen läuft noch die Flut nach und erst im flachen Wasser über den Sänden der Nordseite finde ich den beginnenden Ebbstrom. Grobe Richtung für diesen Abend: Helgoland. Aber die Insel liegt nur auf dem Weg, sie ist kein Ziel. Umschauen, die Kugelbake zieht vorbei, mein letztes Bild von Deutschland sind Frachter und Tonnen vor dem erleuchteten Cuxhaven. Vor mir hängt feuerrot die Sonne über dem Horizont undentzündet erst die Wolken, dann den Horizont.
Die Nacht breitet sich ohne Mondlicht aus. Auf See wird es trotzdem nicht dunkel. Hier gewöhnen sich die Augen an das Schwarz und das Licht von tausend Sternen genügt, um einen Horizont zu zeichnen. Fehlende Farben schärfen andere Sinne. Das Rauschen der Wellen,. die vom Südost mit mir auf die Nordsee getragen werden erscheinen lauter, die Fahrt schneller. Ich bin unterwegs – endlich wieder auf See.
Nächstes Ziel soll Dover sein, etwa drei Tage weiter Westlich, rund dreihundert Seemeilen. Auf dem GPS sind das nur drei Wegpunkte, die jeweils Passagen von Verkehrstrennungsgebieten beschreiben. Paulinchen liegt schwer im Wasser, alle Schapps sind mit Proviant gefüllt .Hält der Ostwind, dann kann es theoretisch bis zu den Azoren in einem Rutsch durchgehen – drei Wochen wären das – rund 2000 Seemeilen.
Deutschlands Hochseeinsel bleibt rechts, pardon, das Landleben hinterlässt Spuren, an Steuerbord und ich kreuze das Verkehrstrennungsgebiet Jade Approach. Ganz nach KVR Regel 10, mit Kielrichtung Quer zur “Dampferautobahn”. Mein Plan: Dieses TSS Kreuzen und dann zwischen den rund 100 Meilen langen Dampfertracks German Bight Western Approach und Terschelling/German Bight zu bleiben. Ein guter Kompromiss, wie ich finde. Ganz um die Gebiete herum würde fast einen zusätzlichen Tag Umweg bedeuten, hier habe ich Zwanzig Meilen Platz zum Kreuzen falls der Wind doch wieder auf Westliche Richtungen wechselt und da die Dampfer an die beiden vorgegebenen Wege gebunden sind, dürfte es ruhig sein. Die “normale” Route führt indes unten entlang, ist noch einen Tick kürzer und liegt vor den Inseln der friesischen Küste. Hunderte Fischer treiben hier in der Inshore Traffic Zone ihr Geschäft und machen die Reise nachts zu einem Abenteuer, dass ich noch aus dem Kattegat unangenehm in Erinnerung habe. Mein Plan geht auf, zum Morgen sehe ich Wasser, und wie auch in der Nacht keine Schiffe, kein Land, nur ruhig daliegende Nordsee und einen kreisrunden Horizont. Das Bild prägt sich ein. Wenn der Atlantik nur halb so nett wird, dann wird das ein Traumstart.
Groß und Genua sind prall gefüllt, der Parasailor würde vielleicht einen Knoten extra bringen, aber auch Arbeit bedeuten. – Und heute ist kein Tag für Arbeit. Weit ausgestellt segelt es sich auch so mit sechs Knoten. Mehr Abwechslung als die Segelgarderobe bietet die Seglergarderobe, die mal dick, mal dünn ausfällt. Nachts sind es vier Schichten: Skiunterzieher, darüber normale Kleidung. Dann kommt mein Schneeanzug und darüber das Ölzeug. Es wird um drei Grad kalt draußen. Drinnen, wenn die Heizung aus ist, sind es maximal zehn. Tagsüber wird es wärmer. in der Sonne bleiben Ölzeug und Schneeanzug unter Deck, die warme Unterwäsche bleibt trotzdem. Rund zehn Grad werden es maximal, bei beißend kaltem Wind. Merke, dass ich eben doch noch recht früh im Jahr unterwegs bin.
Außer Landes
Der Genzübertritt zu den Niederlanden fällt aus. Die Karte markiert die Linie. Mir fällt ein, das ich gar keine Gastlandflagge für die Niederlande habe. Naja, ich sehe ja auch kein Gastland. Einen Tag später weht unter der Saling die Flagge Groß Britanniens und Zeitzohnenwechsel – vor einer Woche war Uhrenumselltung in Deutschland, jetzt ist wieder “Winterzeit”. Ich habe die letzte Hürde passiert, einen Deepwater Way für die Öltanker.
Aber entweder hat die Saison auch in der Berufsschifffahrt noch nicht begonnen, oder es gibt tatsächlich eine Schifffahrtskriese. Ich bin erstaunt, welch Aufwand hier um die zahlreichen Verkehrstrennungsgebiete gemacht wird. In der Kadettrinne war jedenfalls letztes Jahr mehr los, als bisher im Englischen Kanal. Mir soll es recht sein, so komme ich wenigstens hin und wieder zu meinen zwanzig Minuten Schlaf. Sobald Dampferlichter zu sehen sind, klingelt die Eieruhr alle zehn Minuten.
Der Körper gewöhnt sich schnell daran. Hinlegen und einschlafen wird schon am ersten Tag eins, das Klingeln des Weckers und umschauen an Deck ebenfalls. Trotzdem, es dauert zwei Tage bis sich alles wieder eingespielt hat.
Vor der Themse wird es Windstill. Keine Überraschung, “Light easterly or Variable”, oder wie ich die Beschreibung des Deutschen Wetterdienstes für dieses Wetter gerne interpretiere: “schwachsinnig Umlaufend”. Klapperwetter. Gegen den Schwell der Dampfer kommt ein Bullenstander ans Groß, das Segel flappt trotzdem hin und her. Motor starten, der Elektrische Autopilot übernimmt und macht aus der leicht geschwungenen Kurslinie auf dem GPS einen geraden Strich. 214 Grad 86 Meilen bis Dover. Um mich herum keine Schiffe, kein Verkehr. – erlaube mir 25 Minuten Schlaf.
Es werden etwa fünf Minuten. Dann brrrrrrrrrrr… ein Ruck und Ruhe. Die Stille bemerke ich nicht, bin mit einem Satz im Cockpit. “Das ist was ernstes”. Sprit alle geht mit Stottern, alle anderen kleineren Übel beginnen ebenfalls mit Drehzalabfall. Im Kopf gehe ich die Alternativen durch – Kolbenfresser? Keine Ahnung, wie sich der anhört, könnte ich mir so vorstellen. Währenddessen, Genua ausrollen, das Groß mit dem Bullenstander auf die Seite ziehen und die Positionslicher wieder auf die Dreifarbenlaterne umstellen. Für die windsteuerung ist zu wenig Wind. immerhin 0,3 Knoten Richtung Ziel.
Im Motorraum ist nichts zu sehen, macht einen gesunden Eindruck, Öl ist ausreichend vorhanden. richt etwas Rußig, kann aber auch einbildung sein. Ich fasse meinen Mut zusammen und Drücke auf den Anlasser. Auf Eins ist der Motor an und wackelt munter im Leerlauf vor sich hin. Gang rein – Peng. Aus.
Die Erleichterung it größer als die Sorge um das Problem. Von allen Arten Motorausfällen ist ein Tampen in der Schraube für gewöhnlich der Preiswerteste. Mit der Taschenlampe leuchte ich ins glasklare Wasser – der Tampen ist ein komplettes Fischernetz – ein Knäul mit fast einem halben Meter Durchmesser und einigen fliegenden Fetzen, die Welle und Ruder umschließen. Doch das Ruder ist zumindest so frei, dass ich steuern kann. Also Gut, durchatmen – Ist ja auch ein Segelboot. Andere haben nicht einmal einen Motor.
Das GPS korrigiert seine Ankunftsschätzung in Dover von 11 Stunden auf 10 Tage. Ab jetzt geht das Leben im Takt der Tide – Läuft die gegen an, reicht der Parasailor immerhin noch um meine Position etwa zu halten. Mit einem Knoten Fahrt geht es durch das Wasser und mit etwa 0,3 Knoten rückwärts über Grund. Mitlaufende Tide bedeutet immerhin rund 2 Knoten Fahrt über Grund. Die Dampfer kommen teilweise nahe, machen aber einen Bogen. Als stehendes Hindernis ist man scheinbar leichter zu umfahren.
Irgendwann ruft Dover Coast Guard und fragt, ob alles in Ordnung sei. Man beobachte mich seit einigen Stunden auf dem Radar nahezu stillstehend. Das sei zwar in einer der Hauptrouten zur Themse nicht verboten, aber auch nicht unbedingt zu empfehlen. Ich erkläre meinen Motorausfall und dass mich das Netz stark bremst. Eine halbe Stunde später finde ich mich zum ersten Mal im Revierfunk als “Small Sailing Vessel Disabled and Adrift … – Caution is Requested” – etwas übertrieben wie ich finde. Immerhin mache ich ja Fahrt durchs Wasser- auf konstantem Kurs. Trotzdem muss ich mich ab sofort alle 60 Minuten bei der Verkehrszentrale Melden und meine Position und das Befinden durchgeben. Jedes mal verbunden mit dem Hinweis, dass man mich auch schleppen lassen könnte. Und es auch nicht garantiert ist, dass jeder Frachter die Warnnachrichten abhört und mehr Wind im Laufe der Nacht zwar kommen soll, aber nur ein Hauch.
Es stimmt. Wenn mich ein Dampfer übersieht, kann ich nichts tun, außer zu versuchen ihn anzufunken. Ich habe keine Möglichkeit mit 0,3 Knoten Fahrt einer Kollisoin zu entgehen. Gegen 1 Uhr passiert eine Fähre in etwa hunderfünfzig Metern Abstand. zwanzig Minuten Später läuft das Margate Lifeboat aus, um mich ins 30 Meilen entfernte Ramsgate zu schleppen. Seit dem Motorausfall habe ich 40 Meilen gemacht – in 27 Stunden.
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Eine Antwort zu „Nordsee“
[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von wearesailing und wearesailing, Hinnerk Weiler erwähnt. Hinnerk Weiler sagte: Beste Grüße aus Südengland – Neues im Blog: Die Nordseeüberquerung (http://bit.ly/aItiK2) und Ramsgate (http://bit.ly/9muJ9t) […]