La Salle, Detroit River, Kanada. – Es ist beschlossen. Kurz und schmerzlos ging das nicht, aber Paulinchen wird den Winter in Kanada verbringen müssen während ich in Europa die Mittel zur Weiterreise auftreibe.
Wie gern würde ich mich mit Worten daran versuchen, die Schönheit der letzten Tage auf dem See zu Bildern zu malen. Ich würde es mit der Vorfreude tun, anschließend Mails zu bekommen, dass ich mich doch kürzer fassen solle und andere, die darum bitten, dass ich genau so die Welt des Fahrtensegelns weiterhin beschreiben solle. Das gab es schon öfter, aber heute ist alles anders.
Spielt es inzwischen überhaupt noch eine Rolle, wie ich den Welland Kanal mit Hilfe von Art und Alex in einer Nachtfahrt durchqueren musste? Ist es von Bedeutung, dass der Lake Erie in seiner nahezu unendlich scheinenden Größe als ein regloser See vor mir lag? Kann ich die Schönheit des Sonnenuntergangs auf einem Meer aus Frischwasser beschreiben, ohne es dabei wie belangloses Vorgeplänkel zur aktuellen Lage wirken zu lassen? Die Freude, endlich wieder unterwegs zu sein, war groß, in Worte fassen kann ich sie nicht mehr, wenn die ganze Reise am Rand des endgültigen Aus‘ steht.
Die Fotos aus den letzten Tagen der Reise müssen daher für sich sprechen. Sie geben vielleicht einen Eindruck dessen, was dieser See darstellt: Zusammenfassend ein Meer aus Süßwasser, dessen Inseln vom Ufer so weit entfernt sind, wie Deutschlands Hochseeinsel Helgoland von Cuxhaven. Ihn zu durchqueren, dauerte fast zwei Tage. 31 Stunden davon war ich unter unter Motor in einer reglosen Welt unterwegs.
Während ich diesen Text schreibe, tobt über dem Erie ein heftiges Gewitter. Es bringt Abkühlung nach Tagen mit Temperaturen um 35 Grad und einer Luftfeuchtigkeit, die bis in den späten Vormittag Nebelschwaden bestehen ließ. Tropentraining. Eine lähmende, feuchte Hitze, die Denken und Arbeiten am Boot gleichermaßen unmöglich machte und vielleicht das letzte Aufbäumen des kontinentalen Sommers vor dem Herbst war.
Meine Energie und Konzentration kann die Abkühlung gebrauchen. Denken ist bei diesen Temperaturen unter Deck kaum möglich und denken ist gerade wichtig. Denn das Retten der Reise erfordert einen klaren Kopf. Und das geht am besten, indem man sich von ausschweifenden Beschreibungen befreit und die Fakten klar vor Augen führt:
Festsitzen in Kanada
Nach 31 Stunden ununterbrochenem Betrieb beendete das Knallen von Metall auf Metall irgendwo aus dem inneren des Motors meine Überfahrt in Richtung Detroit River. Noch ehe ich den Gashebel ganz zurückgenommen hatte, quittierte der Yanmar seinen Dienst. – Eine erste Diagnose sieht düster aus: Lagerschaden, vermutlich nach Überhitzung. – Die deutlichen Zeichen dafür sind Metallspäne in der Ölwanne. Für die Ursache spricht das pechschwarze, viel zu flüssige und verbrannt riechende Öl um sie herum.
Eine erste Schätzung des nächstgelegenen Yanmar Service beläuft sich auf etwa viertausend Dollar für die Reparatur. – In etwa in der Größenordnung, beginnt auch ein „neuer“ gebrauchter Motor. Dennoch erschien mir die Reparatur vom ersten Moment an als die bessere Option.
Ein gebrauchter Motor ist immer einwenig die sprichwörtliche „Katze im Sack“. Die meisten hier verfügbaren Bootsdiesel haben mehr als die doppelte Anzahl Stunden hinter sich, weniger Leistung oder einen deutlich höheren Preis. Andererseits bekomme ich durch die Reparatur eine Generalinspektion mitgeliefert. Angesichts der verbleibenden 2.500 Meilen Flussfahrt mit gelegtem Mast beruhigt das das angeschlagene Vertrauen in den Diesel.
Zu Anfang waren diese Überlegungen nur theoretischer Natur. Beide Optionen liegen so weit außerhalb meines Budgets, dass ich die Reise an diesem Punkt vor dem endgültigen Aus gesehen hatte.
Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, waren die Kanadier, die mich in meinem „Nothafen“ Colchester empfingen: Im Farmland um das Dorf herum steht vielleicht das Leben öfter auf der Kippe. Und in einer Dorfgemeinschaft hat man ein Auge auf seine Nachbarn und reicht eine Hand, wenn es Probleme gibt. Probleme habe ich, und diese Gemeinschaft hat auf unbeschreibliche Weise ihren Arm um mich gelegt. Die Parole lautet: „Durchhalten, weitermachen, für den Traum kämpfen!“ Wenige sagen einem das ins Gesicht, aber es sind die mutmachenden Gesten, die es ausdrücken. Der Hafenmeister, der das Liegegeld streicht, ein selbstgebackener Blaubeerkuchen, der auf einmal im Cockpit steht, eine Einladung zum Frühstück, um einen Moment den Kopf von den Problemen frei zu bekommen. Und es ist handfeste Hilfe, wie sie mir Ben entgegenbringt.
Er und Christine sind selbst Segler eines kleinen Kajütbootes und verbringen ihre wenigen freien Tage zwischen Peele Island und dem Hafen von Colchester. Sie helfen, wo es geht. In Büchern und Zeitschriften haben beide immer wieder von Reisen gelesen, die ohne die Hilfe Einheimischer zuenedegegangen wären. „Wir freuen uns einfach, auf diese Weise eine solche Geschichte mitzuschreiben. Du musst Dein Geld für die Reparatur zusammenbekommen“, erklärt er mir geduldig, wenn ich wiedereinmal den Kaffee bezahlen will, nachdem er mich den ganzen Tag im Auto herumfuhr.
Inzwischen ist das Boot ins vier Stunden entfernte La Salle zu St. Claire Marine geschleppt worden. Wo immer ich den Schaden ansprach hieß die Antwort: Paul. Er ist der Besitzer der Werft und sein Mechaniker José soll der Beste sein. Auch, wenn es hier etwas städtischer zugeht, geht die Hilfe rundherum weiter: Der La Salle Mariners Yacht Club stellt mir sein Clubhaus zur Verfügung, während das Boot in der Werft ist. Und man denkt über eine Fundraising-Party nach, auf der ich meine Geschichte präsentiere, um mir so bei der Reparatur unter die Arme zu greifen.
Hilfe kommt auch aus Deutschland: zu Anfang mit erstklassigen Tipps im Segeln-Forum zum Vorgehen bei der Schadensanalyse und der der Paypal-Knopf auf der Homepage spült den einen oder anderen handfesten Euro in die Reparaturkasse. Vor allem aber gab es Zusagen, mir die Reparaturkosten zu leihen. So konnte ich den Schritt wagen, zwei Wochen nach dem Malen des Unterwasserschiffs die nächste Werft anzusteuern. Mit über zweitausend Euro privaten Schulden segelt es sich aber nicht gut. Darum habe ich beschlossen, für einen Winter hier oben Pause zu machen. Das Boot wird an Land stehen, ganz klassisch eingewintert und ich fliege in einigen Wochen in Richtung Europa.
Für fast ein halbes Jahr von Bord zu gehen fällt nicht leicht. Aber ich freue ich mich darauf, meine Geschichte in den kommenden Monaten in Euren Clubs, Vereinen oder auf Firmenveranstaltungen zu präsentieren. Ich hoffe bis zum Frühling auf diese Weise den größten Teil der Reparaturkosten zurückzahlen zu können und die Reise anschließend fortzusetzen.
Der Schritt an Land wird eine Herausforderung sein, der ich mich eigentlich erst in einigen Jahren stellen wollte. Zugleich ist die Pause aber auch eine Chance für einen lohnenden Neubeginn: Die Reparatur des Motors wird mindestens zwei Wochen der noch verbleibenden kurzen Segelsaison in Kanada in Anspruch nehmen. Mitte September ist diese Segelsaison im Norden in der Regel bereits zu Ende. Es blieben nur noch Tage für Lake Huron, die Georgian Bay, North Channel und den Lake Michigan.
Vor Herbststürmen und radikalem Wintereinbruch werde ich fast täglich von einheimischen Skippern gewarnt: „Wenn das Wetter mitspielst, kannst Du es bis Chicago in etwas über einer Woche schaffen. Aber bist Du dafür hier hergesegelt?“, ist meist die begleitende Frage.
Seit meiner Ankunft auf dieser Seite des Atlantik stehen die Georgian Bay und der North Channel als leuchtendes Etappenziel vor mir: Sie bedeuten die Kurve vom Lake Huron in den Lake Michigan und sind für mich das Symbol für den beginnenden Weg nach Süden. Von 45 Grad Nord bis über 55 Grad Süd, über 8.000 Seemeilen durch Flüsse, die Karibik und entlang der südamerikanischen Atlantikküste in den Pazifik.
Und seit meiner Ankunft auf dieser Seite des Atlantik bin ich in Eile gewesen. Angetrieben von einem selbstgesetzten Zeitplan, den ich ohne die Erfahrung des Langfahrtsegelns aufgestellt und mehr auf Grund der Wettererfordernisse, als auf Basis von Möglichkeiten entworfen hatte. Mit der Entscheidung, in diesem Winter nicht mehr im Golf von Mexiko anzukommen, wird die Reise ein weiteres Jahr länger dauern als ursprünglich angedacht. – So what? Sie wird im selben Atemzug um einen atemberaubenden Sommer in der Wildnis Kanadas bereichert, von deren Schönheit ich dann wieder in ausladenden Worten schreiben kann.
Kommentare
Eine Antwort zu „Breakdown“
Moin Hinnerk!
Verdammtes Pech aber auch! Unschön, dass Dich das jetzt vor eine solche (finanzielle) Herausforderung stellt. Ich hoffe aber, dass Du den Dingen (angesichts dieses Beitrags und besonders seines letzten Absatzes) frohen Mutes entgegen schauen kannst, die Zeit nutzen kannst und sich Dein Ziel nur weiter festigt!
Wir werden weiterhin die Trommel für Dich rühren und wer weiß, vielleicht nutzt man mal die Gelegenheit sich in Deutschland kennenzulernen!
Cheers,
Matthias (crM)