Ungeduldige Segler sind eigentlich keine guten Segler. Andererseits müssen ungeduldige Segler oft schneller lernen gut segeln zu können.
Auf auf der Wetterkarte war schon vor der Abreise aus Fort Myers zu lesen, dass wir kein ideales Wetter für die Überfahrt nach Kuba haben würden. Vor allem ist in jedem Revierführer zu lesen, dass man bei Wind gegen Strom nicht über den Golfstrom fährt. Der schiebt sich in einem fast 2.000 Meter tiefen Kanal durch die 90 Meilen breiten Straights of Florida nach Osten, zwischen einem und drei Knoten schnell. Von Osten schiebt in diesen Tagen der Wind dagegen und sorgt für hohe Wellen, die wie steile Wände aus Wasser mehr stehen, als sich bewegen. Die Ungeduld trieb uns dennoch aus dem Hafen auf die See.
Dry Tortuga, die Sandbank mit Militärposten und Nationalpark am äußersten Ende der Florida Keys ist ein guter Startpunkt, um von den USA nach Kuba zu reisen: Kurs Süden setzt der Strom automatisch nach Osten. Unsere „Backstagbriese im ersten Reff“ während der Fahrt von Fort Myers hier her wechsle ich direkt zu „Halbwindkurs im dritten Reff“. Kinga schaut Minuten später aus dem Luk und winkt mit einer 30er Packung Tabletten gegen Seekrankheit in Richtung Koje.
„Dramamine“ ist ein Wundermittel für Mitsegler, aber nicht für Crew, auf die man angewiesen ist. Seekrankheit wird effektiv ausgeschaltet, mitsamt dem Kopf, in dem sie stattfindet und einfach durch Schlafen ersetzt. Das betroffene Crewmitglied ist für Stunden außer Gefecht. – Mit drei Jahre Einhandsegelerfahrung macht mir das keine Sorgen: „Ok, gute Nacht, Genieß es. Wärst Du jetzt nicht hier, wäre ich ja jetzt auch allein hier.“
Havanna peilt in 160 Grad. Etwas weniger als halber Wind; Paulinchens Lieblingswind. 6,5 Knoten drittes Reff und beeindruckende Wellen. Draußen Haben wir Spaß, rollen alle zehn Sekunden von Backbord aus 30 Grad Lage bis 30 Grad nach Steuerbord. Mit jeder Meile Richtung Kuba nimmt der Strom gegen den Wind weiter zu, werden die Wellen steiler und höher. Aber das Wasser wird immer wärmer. Es fühlt sich gut an, wenn Wellen über die Bordwand kommen, die nackten Füße umspülen und gurgelnd in den Lenzrohren verschwanden. Mitten in der Nacht passieren wir den stärksten Teil des Stroms. Die Kämme der Wellen sind schneeweiß, immer wieder knallt eine brechende See gegen den Rumpf und steigt ins Cockpit ein. So hatte ich mir das nicht vorgestellt: Im tropischen Herbst trage ich Ölzeug wie im April auf der Ostsee, bin angeleint und versuche abwechselnd schäumenden Wellenkämmen und Frachtern zu entgehen, die in voller Fahrt unsere Bahn kreuzen.
Mit fliegender Gischt im Gesicht und den Füßen in Lee auf der Cockpitbank rudere ich zehn Stunden lang an der Pinne. Die Brecher hören erst auf, als der Strom kurz vor Kuba am Morgen wieder abnimmt. „Alles Ok?“, höre ich durch das geschlossene Luk von unten und schaue ins Boot. Unter Deck herrscht Chaos. Wasser schwappt am Rand der Bodenbretter aus der Bilge, Kinga liegt auf der Leekoje und teilt sich das Bett mit dem Inhalt eines luvwärtigen Schaps. Die Euphorie und das Adrenalin der vergangenen Nacht bestimmt meine Antwort: „Ich hab‘ einen Mordsspaß!“
Sie antwortet: „Das war die schlimmste Nacht meines Lebens.“
„Dann hören wir in Zukunft wohl besser wieder auf Wetterberichte?“
„Ja, bitte“
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