Zwischen Reisen und Eilen

Der erste Morgen an Bord des Roland bedeutet Umgewöhnen. Es herrscht Urlaubsstimmung. – Segelurlaubsstimmung. Ich hatte das erwartet.

20150524-144353-norwegen-Meile machen ist seit dem die Devise. Schon oft habe ich das von Crews gehört, die auf ihren Schiffen leben: wenn Urlaubscrew zum zu segeln an Bord kommt, will sie meist am nächsten Tag los, egal wie das Wetter ist. Das ist aus dem Blickwinkel des Langzeitseglers ungefähr so, wie einem Radrennfahrer zu sagen: „Mit dem Motorrad, bist du schneller“.

Trotzdem, es ist verständlich: Wenn nur wenige Wochen zum Segeln zur Verfügung stehen, wird schnell jeder Tag nordnorwegischen Regenwetters an einem Steg zum verlorenen Tag. Und wenn nicht das Radfahren, sondern das erreichen eines Ziels in zu einem bestimmten Termin der Zweck der Reise ist, wird das Motorrad tatsächlich zur attraktiven Alternative. Genauso ist es, wenn Segeln der Urlaubsinhalt ist. Dann ist Hafenleben langweilig.

Also liefen wir in strömendem Regen aus und nahmen Kurs auf die fünfhundert Meilen entfernten Lofoten.

20150524-142350-norwegen-Drei Wochen haben wir für unseren Törn Zeit. Für die Strecke bräuchten wir, ein passendes Wetterfenster vorausgesetzt, rund vier oder fünf Tage.

Auf Paulinchen wären es ein oder zwei mehr. Ich würde die Strecke wohl in zwei Etappen fahren: Eine Nonstop-Fahrt mit drei Tagen entlang der Küste und einen direkten Schlag zur Westspitze der Lofoten. Dazwischen würde ich an einem Ankerplatz in Ruhe dümpelnd das Leben an Bord für zwei oder drei Tage mit süßem Nichtstun genießen.

Das ist der Kern meiner Umstellung zum Urlaubs-Mitsegler: Reisen findet im Tagestakt statt, segeln wird zur Arbeit, vorankommen zum Lebensinhalt. Zuletzt habe ich das auf den Flüssen der USA gemacht, wo nächtliches Fahren unmöglich war. Aber auch da habe ich mich an einigen Stellen in eine Bucht zurückgezogen und bin einfach für drei oder vier Tage an Ort und Stelle geblieben, um die Seele baumeln zu lassen.

20150524-201341-norwegen-Seit dem Auslaufen von Rügen aus in Richtung Schweden im Sommer 2009 gab es auf Paulinchen keine Etappe mehr, in der ich über mehrere Tage hinweg abends in einen Hafen gefahren wäre, um gleich morgens wieder auszulaufen. – Wozu auch?

Wenn ich von den Orten ohnehin nichts sehe, dann spare ich das Liegegeld und schlafen kann ich unterwegs genauso gut. Dann ziehe ich lieber nachts abseits der Küste einfach an allem vorbei.

20150527-123214-norwegen-Ganz bewusst verzichte damit auf viele Eindrücke und gewinne doch im gleichen Augenblick viel mehr: Es ist ein simples Rechenspiel, wenn ich in Tagesetappen nach nach der vierten Nacht 150 Meilen geschafft habe oder Nonstop über 400. Dann erkauft mir der schnelle Törn das unbeschreibliche Gefühl der einer mehrtägigen Seereise und zusätzlich die Zeit, um reglos am Anker zu liegen, Orte und Menschen kennenzulernen, oder einfach nur einem alten Indiansprichwort zu folgen:

Wer schnell reist, muss der Seele Zeit geben zu folgen.

Über die Jahre ist mir immer wieder aufgefallen, dass Skipper häufig das langsamere Reisen in kurzen Etappen wählen, um einen vermeintlichen Gewaltakt zu vermeiden.

20150527-140950-norwegen-Gerade dann, wenn das Segeln für einen Teil der Crew nicht im Vordergrund des Urlaubs steht, wollen sie damit eine Überdosis Seezeit vermeiden. Die Reise in kurzen Etappen führt aber eigentlich genau zum Gegenteil: Für diese Mitsegler wird die Bootsfahrt sehr schnell langweilig. Späte Ankunft, frühes Aufbrechen. Zwar erspart man ihnen mit dem Schlafen bei Lage und Schaukeln auf See vielleicht einige Unanehmlichkeiten. Dennoch: Für alle, die mehr als nur Schiff im Urlaub sehen möchten, lohnt sich erst recht das schnelle Vorankommen in Mehrtagesetappen.


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