Déjà-vu

Orientierungslos, inmitten einer grauen Masse stecke ich den Kopf wieder aus dem Niedergang. Neben mir ziehen Frachter als graue Geisterschiffe an Ölands Südspitze vorbei. Die Überfahrt begann ich mit Badehose, jetzt trage ich langes Unterzeug, die dicke Öljacke und Handschuhe. Der Wind ist vollkommen eingeschlafen, Stattdessen kündigt sich mit leichtem Grummeln das erste Gewitter des von Westen herannahenden Unwetters an. Ich nehme Kurs auf die Felsen an Schwedens Südküste, mit dem Regen kommt auch der Wind zurück. Im zweiten Reff, mit halbem Vorsegel laufe ich in das in das östliche Fahrwasser nach Karlskrona ein.

Ich bin durch dieses Fahrwasser in der anderen Richtung bereits 2005 gesegelt. Damals mit meiner sechs Meter Carina auf dem Weg zum Göta Kanal waren es die ersten Schären, die ich auf eigenem Kiel erreichte. Wie sich die Wahrnehmung ändert: Die aufregende, fremde Welt besteht jetzt vor allem aus Steinen die mir im Weg liegen. Den Charme, den sie damals verströmten kann ich erinnern, nicht nachfühlen.

Woran ich mich noch besser erinnern kann, war meine Ankunft in Karlskrona: Ich segelte von der rund 20 Meilen entfernten Insel Hanö die kleine Stadt an. Ganz leise, ganz unauffällig unter tiefhängenden dunklen Wolken eines abziehenden Gewitters fühlte ich mich, als hätte ich gerade einen Hurrikan im Golf von Mexiko abgewettert und würde in der darauffolgenden Flaute nun wieder den ersten Hafen ansteuern. Diesmal laufe ich in finsterer Nacht um kurz vor Mitternacht ein. Hinter mir grummelt wieder ein abziehendes Gewitter, um mich herum bewegen nur dicke Regentropfen das Wasser.

Leinen aufschießen, Segel auftuchen, schlafen. – 62 Stunden dauerte die Fahrt von Ruhnu hier her. Mein persönlicher Einhand-Rekord ist um rund 20 Stunden gewachsen… Aber es ist noch immer nur ein Drittel der Strecke, die zwischen Lissabon und den Azoren auf mich wartet. Ganz zu schweigen von den endlosen Wochen auf dem Pazifik.

In Überfahrten wie diese muss ich beim nächsten Mal viel mehr Normalität hineinbringen. Wenn es drei Tage über die Ostsee geht, darf das noch “Ausnahmesegeln” sein. Da ist es in Ordnung, sich in voller Ölzeugmontur in die Koje zu legen. Doch wenn das über Wochen geht, darf der Alltag nicht leiden. Man hat viel Zeit zum Lesen, schreiben oder einfach nur, um auf die Wellen zu schauen. Aber genau wie im Hafen müssen auch die täglichen Dinge erledigt werden. Wenn man einhand unterwegs ist, stört es niemanden, wenn man drei Tage das selbe T-Shirt trägt. Leicht fällt man dabei in einen Trott, der mehr einem Abwarten als einem Segelerlebnis gleicht. Aber das nächste Land, den nächsten Hafen abwarten ist nicht der Sinn einer Segelreise. Auch das sind Erfahrungen, die man nur macht, wenn man unterwegs ist. Auf meiner weiteren Reise muss ich mehr darauf achten, meinen Alltag nicht zu verlieren.

Mit 15 bis 25 Minuten Schlafphasen gerät ein Großteil davon sicher schnell durcheinander. Der Körper braucht etwas, sich darauf einzustellen und die Zeit, die man für andere Dinge hat, verringert sich. Denn das Dösen darf nicht erst bei einsetzender Müdigkeit anfangen. Das habe ich schnell gelernt. Bereits am Nachmittag, bevor sich ein Schlafdefizit aufbaut muss es beginnen und anhalten, bis in den späten Vormittag. Frühstück, Mittag und Abendessen fallen ihm zum Opfer. Eine richtige warme Mahlzeit am Tag muss bleiben. Meist gegen Abend wird sie zum Highlight. Schon lange vor dem Gemüseschneiden beginnt die Kreation des Tages im Kopf zu reifen und mutiert zum Inbegriff von Abwechslung auf der sonst meist gleichförmigen See. Sonst wird gegessen, wenn der Hunger kommt, nicht wenn es die Uhr vorschreibt. Auffällig ist, dass die Portionen dabei viel kleiner werden. Wer nicht wartet, bis er halb verhungert an den Esstisch kommt, isst nicht mehr sondern weniger. Zwei Bananen am Vormittag, eine Scheibe Brot am frühen Nachmittag und eine heiße Brühe in der Nacht.

Aber Abwaschen, Zähneputzen, Aufräumen und all die Kleinigkeiten des Lebens müssen auch ihren Platz im Tag behalten. Die nötige Routine kommt langsam. Denn Segeln ist für den Langfahrtsegler nicht der Ausnahmezustand, sondern ihr Alltag. Mein Alltag.


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